in Wirtschaft, Wissenschaft

Unser mentaler Ausflug oder: eine Reise durch die Zeit

Was ist Zeit? Nicht erst seit dem gleichnamigen Seminar von Klaus Mainzer haben sich viele MuK-Studierende mit der Frage auseinander gesetzt, was Zeit für das eigene Leben bedeutet und wie sich diese konstruiert. Denn Zeit scheint eines der bestimmenden Themen der Moderne geworden zu sein. So trifft man oft Menschen, die keine Zeit haben oder (neudeutsch) busy sind und ihren Zeitmangel auf diese Weise öffentlich zur Schau stellen. Nicht selten begegnet man sogar Menschen, bei denen Zeitmangel mit hohem Engagement gleich gesetzt und folglich ein ganz neuer Wert in einer arbeitenden Gesellschaft geschaffen wird. Generell fällt auf, dass gerade Berufe unsere Zeit prägen; sie bestimmen den Tagesablauf und sorgen mehr und mehr dafür, dass Grenzen von Arbeit und Frei(Achtung!)Zeit verschwimmen. Die technologische Entwicklung tut ihr übriges; mit größer werdender Vernetzung steigt der Anspruch an Allseitserreichbarkeit und permanenter Verfügbarkeit, aber auch an einen hohen Grad an Informiertheit und Auseinandersetzung mit der globalen Welt. „[…] grosse Kontinuitäten sind zunehmend die Ausnahme, in diesem Sinne heißt Globalisierung auch im Alltagsleben Wechsel, Flexibilisierung, Stress und Suche nach Entlastung. Die festen Orte verschwinden, wenigstens solche, die auf eine ganze Lebensspanne hin berechnet sind.“ (Oelkers, 2000, S. 4)

Zeitökonomie

Wenn sich (Achtung!) Zeiten ändern, stellt sich folglich auch die Frage nach dem Umgang mit der uns verbleibenden Zeit:

  • Wie viel Zeit darf ich mit welchen Aktivitäten verbringen?
  • Wie bewusst darf (oder muss?) ich mir Freizeit gönnen?
  • Wie schaffe ich es, meine Zeit möglichst selbstbestimmt einzusetzen?
  • Gibt es einen reflexiven Umgang mit Zeit?

Ohne Zweifel gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung von Zeit: Mal vergeht sie langsam, mal vergeht sie schnell. Ich würde jetzt nicht so weit gehen und das Zeitempfinden von der Art der kognitiven Verarbeitung des Erlebten abhängig machen. Wohl aber kann man Pöppel (1999) zustimmen, wenn er sagt: Entscheidend sind die Inhalte des Erlebens, nicht die formale (eben zeitliche) Struktur der Repräsentation. Denn Zeit im Sinne von Uhrzeit, Tages- und Nachtzeit, Arbeitszeit etc. bietet allem voran eine Orientierung, an der sich Menschen im Laufe ihres Lebens entlang hangeln (können). Kurios wird es in dem Moment, wenn die Verdichtung von Zeit zur Vergleichzeitlichung führt. Multitasking ist hier das richtige Stichwort. Schnell das eine machen, nebenbei das andere und ganz nebenbei noch etwas anderes.

Selbstbestimmung adé?

Problematisch wird die Auseinandersetzung mit der Zeit vor allem dann, wenn Zeitordnungen auch als Machtordnungen verstanden werden (vgl. Heitkötter & Schneider, 2004, S. 19). Spätestens an dem Punkt bemerkt man, dass man zumindest in beruflicher Hinsicht oft am längerem Hebel sitzt. Selbstbestimmung oder besser noch: Selbstbildung adé. Aber die Lösung naht (zumindest theoretisch): „Zukunftsfähige Zeitkonzepte sind darauf ausgerichtet, den Menschen zum selbstbestimmten Umgang mit ihren zeitlichen Ansprüchen und Anforderungen zu befähigen, die oft beschworene Balance zwischen Arbeit und Leben wirklich zu ermöglichen.“ (Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik, S. 19) Irgendwie fasst diese Forderung auch die zentrale Erkenntnis unseres mentalen Ausflugs am letzten Freitag bestens zusammen: Berufe prägen unsere Zeit. Aber wir wollen auch Freizeit!

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Kommentar

  1. Guten Tag Frau Hofhues,

    sehr schönes Thema. Zwei kleine Anmerkungen: a) Ich weiß nicht ob es methodisch passt, wenn wir die Zeit als Ressource beschreiben, über die man verfügt, die man einteilen kann, besser oder schlechter (siehe die vier Fragen). Man beschreibt die Zeit mit zeitlichen Mustern (Paradox). Man merkt schnell: wir hängen immer noch an der Brust der newtonischen Mechanik. Was das für die pädagogische Anthropologie und die implizite Dimension der Zeit zu bedeuten hat beschreibt A. Müller hier http://www.verlagdrkovac.de/3-8300-0737-X.htm b) Stichwort: Moderne Zeitkonzepte, life-work-balance, Trennung von Arbeit und FREI-Zeit, die ja im Kern auf einer institutionellen Trennung beruht: wenn ich zur Firma gehe dann arbeite ich, wenn ich raus gehe, dann habe ich Freizeit. Kommen wir da heute noch mit weiter, wo die Entgrenzung kein Fachwort der Soziologie mehr ist sondern gefühlte Realität? Vielleicht trägt es mehr, wenn wir die erlebte Zeit einteilen in unterschiedkliche Grade an Selbstbestimmtheit? Warum den traditionell belasteten Begriff der „Arbeit“ noch benutzen? Leben ist Tätigsein. Punkt.

  2. Hallo ihr Zwei,
    schönes Thema für einen „freien“ Sonntag. Ich würde gernen in die Diskussion noch eine weitere Ebene mit einbringen:
    Zeit und Zeiterleben ist kulturelle geprägt. Ich stelle meine Zeitkonzepte oft bei interkulturellen Zusammenkünften in Frage. Wie mit Zeit umgegangen wird, wird zu einem Anteil auch durch die Kultur (nicht nur Nationalkultur, sondern z.B. auch Organisationskultur) definiert. Busy wird eben in unserer Kultur eher als „äußerst wichtige Person“ interpretiert, während andere sagen würden, der hat eine Meise und nimmt sich keine Zeit für mich und respektiert mich nicht–> diese Person ist nicht vertrauenswürdig.
    Wir leben auch in einer Welt in der Zeit linear wahrgenommen wird und (v.a. hier in Deutschland) sehr gerne in kleinste objektiv messbare Einheiten aufgeteilt wird. Man kann Zeit aber auch zyklisch wahrnehmen (wie in vielen Teilen Asiens). Man spricht auch von monochronen (sehr genauen) und polychronen Kulturen (eher flexiblere Zeiteinteilung).
    Ein anderer Aspekt, den ich sehr interessant finde ist auch die schwerpunktsmäßige Orientierung einer Person an der Zukunft, Gegenwart oder Vergangenheit, was auch kulturell und von der Situation beeinflusst ist, in der ich mich befinde. Z.B. bin ich eher vergangenheitssorientiert, wenn gerade ein nahestehender Mensch gestorben ist.

    Auch die starke Trennung zwischen Privat und Arbeit, die Frank anspricht, ist sehr „deutsch“. In anderen Kulturen ist diese strikte Trennung so nicht vorhanden bzw. sie sieh einfach anders aus.

  3. Hallo Ihr,

    erst einmal DANKE für Eure Anmerkungen – sehr spannend. Ich versuche mal, meine Gedanken dazu zu sortieren.

    Grundsätzlich glaube ich auch, dass wir stark in alten (Zeit-)Mustern denken. Wenn es aber alte und neue (Zeit-)Muster gibt, heißt das dann auch, dass wir bereits in einer neuen Zeit angekommen sind? Wenn ich mir überlege, wie wir arbeiten und wie es andere tun (nämlich 925-Job), ist die Entgrenzung noch voll im Gange bzw. in vielen Teilen, auch in der Industrie, nicht vollzogen. Dass diese zeitliche Ordnung allerdings „typisch deutsch“ ist, glaube ich Dir gern, Roni, denn an der Zeit hängen viele Eigenschaften wie Pünktlichkeit, Ordnungswahn, beinahe hätte ich gesagt – Putzfimmel – aber das gehört nicht hierher. Ich meine jedenfalls, dass wir in der Eigenschaft als lebenslang Tätiger (die Formulierung nehme ich gern auf, Frank) immer mehr darüber nachdenken (müssen), wie sich eine veränderte Berufswelt auf unser Leben auswirkt und inwieweit wir mitspielen wollen. Vielleicht ist das auch eine (erste) Ausprägung von Entgrenzung, dass man Unterschiede zu „früher“ wahrnimmt und diese in Diskussionen verarbeitet?

    Den Zusammenhang von Zeit und Kultur finde ich übrigens auch höchst spannend… Man braucht gar nicht so weit weggehen und andere Länder ansehen: Auch die Arbeitskultur prägt sehr stark, wie wir über Zeit nachdenken, welche (zeitlichen) Vorbilder wir haben und welche (Zeit-)Kultur wir pflegen. Wie Du mir, so ich Dir… oder so ähnlich.

    Viele Grüße,

    Sandra

  4. Hallo Berlinerin! Sehr interessant was du ansprichst: „Wir leben auch in einer Welt in der Zeit linear wahrgenommen wird und (v.a. hier in Deutschland) sehr gerne in kleinste objektiv messbare Einheiten aufgeteilt wird. Man kann Zeit aber auch zyklisch wahrnehmen (wie in vielen Teilen Asiens). Man spricht auch von monochronen (sehr genauen) und polychronen Kulturen (eher flexiblere Zeiteinteilung).“

    Worauf du hinweist Vernonika ist, die kulturelle Determination der Zeit, dass scheint mir sehr wichtig zu sein. Aber was heisst das genau? Konstruieren wir die Ereignisse unterschiedlich, deren kausale Beziehung, das Verhältnis zwischen uns und den Ereignissen? Macht das die andere Zeitqualität aus? Ist Zeit ein Zuschreibungsphänomen?

    Dahinter steckt das, was ich etwas knapp mit newtonischer Mechanik andeuten wollte. Die neue Physik „Relativitätstheorie, Termodynamik und Quantenmechanik“ hat ein anders Zeitverständis in der Physik aufgeworfen, dass in die Richtung deiner „nicht linearen“ Beschreibung geht. Da geht es nicht mehr um die Beschreibung von Dingen/Prozessen in der Zeit, sondern um ein Neuverständis von Realität. Wer hier mehr drüber wissen will, der kann Bernulf Kanitscheider lesen (Von der mechanistischen Welt zum kreativen Universum oder auch bei D. Bohm: Die implizite Ordnung, …jemand bei dem ich nicht alles verstehe, der mich mit seinen Gedanken zur Realität aber fasziniert http://www.klawi.de/bohm.htm.

  5. Grundsätzlich glaube ich auch, dass wir stark in alten (Zeit-)Mustern denken. Wenn es aber alte und neue (Zeit-)Muster gibt, heißt das dann auch, dass wir bereits in einer neuen Zeit angekommen sind?

    Sandra, ich glaube es ist schwer vom „Alten“ und „Neuen“ zu sprechen, weil dies schon so eine leichte (kulturelle) Wertung beihaltet. Flexible Arbeitszeiten sind z.B. bei Selbstständigen nichts Neues. Wenn man sich Frauenbiographien, insbesondere in bestimmten (Sackgassen)Berufen anschaut ist das auch nichts Neues. Dennoch leben wir aus soziologischer Sicht einer multiplen Moderne (Beck) in der Entgrenzung keine Einzelphänomen ist, sondern es ganz viel Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen „Modernen“ gibt und das Alte im Neuen weiterexistieren kann.
    Zeit ist so ähnlich wie Identität. Identität klingt zwar sehr subjektiv, so als ob ich sie mir selbst für mich selbst konstruiere. Sie ist jedoch ein gesellschaftliches Phänomen und wird gesellschaftlich interpretiert. Die Gesellschaft schreibt z.B. vor in welchen Bereichen du dich definieren MUSST. Ein Hackenkreuz hat eine bestimmte Bedeutung in unserer Kultur, du kannst dem Kreuz soviel reininterpretieren (schönes Schmuckstück,….) wie du willst, es wird nicht so wahrgenommen. Eine Identät ist somit immer etwas das individuell und kollektiv interpretiert wird. So ist das auch mit der Zeit. Ich kann es mir in diesem kulturellen Raum gar nicht erlauben für manche Dinge Zeit zu nehmen, weil das gleich als „rumzutrödeln“ interpretiert wird, egal wie super deine Begründung sein wird.
    Frank, ich würde nicht behaupten, dass ich den Bohm-Text verstanden habe, aber ich glaube zu wissen, was damit gemeint ist, weil sich diese Diskussion ja auch schon in meiner (Medien-) Wahrnehmung seit zwei Jahren rumschwirrt.

    Konstruieren wir die Ereignisse unterschiedlich, deren kausale Beziehung, das Verhältnis zwischen uns und den Ereignissen? Macht das die andere Zeitqualität aus? Ist Zeit ein Zuschreibungsphänomen?

    Ja, ich denke schon, dass Zeit ein konstrukt unserer Kultur und „Zeit“ ist. Wir nehmen nur das wahr, was wir durch unsere Wahrnehmungsbrille sehen. Und unsere Brille hat eine bestimmtes Zeitwahrnehmungsmuster. Und wenn man sich unterschiedliche Kulturen anschaut, dann haben sie manchmal kompett andere Begründungszusammenhänge für Ereignisse als wir. In unserer Welt gibt es auch keine Geister mehr und auch unsere Ahnen spielen keine Rolle mehr im Vergleich zu früher. Solche zeitlichen Zusammenhänge, die nicht rational greifbar sind, spielen hier keine Rolle.

  6. Etwas als „alt“ und als „neu“ zu definieren hilft in jedem Fall dabei, Unterschiede zu erkennen bzw. aufzudecken. Natürlich sind die Begriffe nicht trennscharf bzw. beinhalten eher eine analytische Trennung für ineinander verwischende Phänomene. Dass dies nicht ganz ohne Werte und Normen vor sich gehen kann, ist klar; selbst in der Rolle des Beobachters wird man immer vor dem eigenen (kulturellen) Hintergrund zu einem Urteil finden und damit bewerten, wie man etwas findet.

  7. hi,
    don’t forget: wenn etwas als „alt“ oder „neu“ beschrieben wird, enthält dies eine ZEITLICHE komponente, es entsteht die gefahr eines zirkelschlusses 😉
    fast jede analyse, die auf ursache-wirkung-prozesse schielt, enthält diese zeitliche komponente. also haben wir auch oft die zeit mit drin, wenn wir sie gar nicht bewusst berücksichtigt haben.
    aber apropos beck (s.o.): persönlich bin ich der meinung, dass die multiple moderne nach eisenstadt zwar eine forschungstechnisch gut vermarktbare – und sicher richtige – feststellung ist, aber deswegen abgesehen von der bewußtseinswerdung dieses phänomens nix neues. das multiple altertum hat vielleicht noch kein historiker postuliert, aber die lebenswelten waren da schon parallel unterschiedlich und konfliktgeladen, wo sie gelegenheit zur reibung bekamen. technologischer fortschritt von legionen zum hackerkrieg geben neue nuanchen. denn der fokus dieser feststellung liegt auf dem multiplen, die definitionen von moderne im soziologischen u.v.a. nationalstaatlichen sinn gehen dem ja voraus. zur multiplizität bedarf es aber wohl keines nationalstaats…?
    leider fehlt uns vermutlich die ZEIT, in diesem rahmen die sicher nötigen und bestimmt faszinierenden oben angesprochenen kulturellen zeitwahrnehmungsmuster und die historischen zeitwahrnehmungsmuster gleichsam synchron und diachron zu analysieren – schade…