in Wissenschaft

Der antinomische Blick

Wenn man im letzten Drittel der Doktorarbeit liegt und primär an der Arbeit schreibt, ist es (zumindest bei uns) ganz selbstverständlich geworden, Textteile mit anderen zu diskutieren, sei es mit Gabi als Betreuerin, mit anderen Doktoranden oder mit weiteren Personen, die sich für das eigene Thema interessieren. Da ich mit der Evaluation des Projekts business@school drei größere Bereiche untersuche, nämlich

  1. welche individuellen Kompetenzen bei den Projektbeteiligten (Schüler, Lehrer, Wirtschaftsvertreter) gefördert werden,
  2. welche soziokulturellen Veränderungen in Schulen und Unternehmen infolge der Teilnahme angestoßen werden und
  3. was man aus der Laufzeit des Projekts für weitere Projekte lernen kann,

bedarf es einer gemeinsamen Betrachtung des Projekts – sowohl hinsichtlich der empirischen Ergebnisse als auch auf metatheoretischer Ebene. Diese Ebene bildet in meiner Arbeit das Spannungsverhältnis von Bildung und Ökonomie, das immer zwischen normativen Ansprüchen und praktischem Nutzwert liegt und sich auf ganz unterschiedlichen Ebenen zeigt. Netterweise hat sich Frank gestern die Zeit genommen, sich dieses Einleitungskapitel näher anzusehen (danke!!) und mir entsprechendes Feedback zukommen lassen. Ein zentraler Hinweis betraf den antinomischen Blick, weshalb ich nochmals Schlömerkemper (z.B. 2010) herausgesucht und genauer nachgelesen habe.

„Damit [mit dem antinomischen Blick, Anm. S.H.] ist gemeint, dass unterschiedliche Deutungen einer Sache, die je für sich der Sache angemessen erscheinen, nicht gegeneinander ausgespielt werden, bis sich eine als die vermeintlich einzig zutreffende Geltung verschafft. Vielmehr soll geprüft werden, ob die eine Deutung mit der anderen durchaus vereinbar ist, weil diese in einer antinomischen Beziehung zueinander stehen und die Deutung sozusagen als Gegenspielerin der anderen mehr oder weniger und in wechselhafter Stärke bedeutsam sein kann.“ (Schlömerkemper, 2010, S. 164)

Der antinomische Blick bietet sich in dieser Betrachtungsweise immer dann an, wenn Phänomene nicht eindeutig zuzuordnen sind bzw. vielmehr einen „Doppelcharakter“ (ebd., S. 165) aufweisen.

Für meine Arbeit heißt das konkret, dass ich nicht gleich mit dem Doppelcharakter bzw. dem verbindenden Element von Bildung und Ökonomie einsteige, sondern zunächst das Wesentliche beider Perspektiven aufzeigen werde. Das erleichtert dem Leser, warum ich eine metatheoretische Betrachtung vorab benötige; umgekehrt bietet es aber auch Anker zur Interpretation der Empirie. Denn – je nach Blickwinkel – lassen sich hier die Daten verschieden auslegen. Gleichzeitig wird aber erst durch die Verschiedenheit von Bildung und Ökonomie deutlich, welchen Beitrag eine Bildung durch Kooperation leisten kann, die – so viel kann ich vorausschicken – ein zentrales Ergebnis meiner Arbeit sein wird.

Quelle:

Schlömerkemper, J. (2010). Konzepte pädagogischer Forschung. Eine Einführung in Hermeneutik und Empirie. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Schreibe einen Kommentar

Kommentar

  1. Hallo Sandra, ja, schön das du das Feedback aufgreifst, dann macht das Feedback-Geben auch Spaß :-). Der vorgeschlagene Weg ist freilich nicht ganz einfach, gar nicht mal der antinomische Blick, sondern die Herausarbeitung der Kernidee von Bildung und Ökonomie (das kennen wir vom NÖB). Nur wenn man das Trennende (die autonomen Sinnbereiche) vor sich hat, kann man entscheiden, auf welchen Ebenen und unter welchen Bedingungen eine Kooperation keinen Schaden verursacht (so die Idee). Hier kann man tief einsteigen, sich aber auch verrennen. Ich hoffe du findest den richtigen Dreh, zumal du dich ja im letzten Drittel, Viertel, Fünftel, Zentel Deiner Arbeit befindest. Grüße, Frank

  2. Hallo Frank,

    solche Hinweise sind in jedem Fall spannend und es gibt sicher ein paar Stellen, wo sich Deine Rückmeldungen gut integrieren lassen – ohne zu sehr an der Arbeit zu rütteln, denn Du hast natürlich recht: Bildung und Ökonomie, das wäre eine eigene Arbeit, und man könnte an ganz vielen Details Unterschiede/Gemeinsamkeiten skizzieren. Aktuell sitze ich an einem anderen Kapitel (Kompetenzentwicklung) und wenn dieses fertig ist, mache ich mich geballt an die Überarbeitung der anderen Kapitel bzw. Abschnitte. Kann also sein, dass ich mich demnächst nochmals melde (wenn ich darf ;-)).

    Liebe Grüße,

    Sandra