in Wissenschaft

Was ist eigentlich: der „Sudoku-Effekt“?

Heute war ich an der Universität Hamburg, um den Ausführungen von Stefan Kühl zum „Sudoku-Effekt“ zu lauschen. Zum ersten Mal hatte ich auf der Campus Innovation 2011 von der gleichnamigen Publikation gehört, als Stefan Kühl neben weiteren auf dem Abschlusspodium saß und bereits von den Irrungen und Wirkungen der Bologna-Reform aus (organisations-)soziologischer Sicht berichtet hat. Ein paar Wochen später fand sich in der Forschung & Lehre ebenfalls ein (knapper) Artikel über selbiges Thema (siehe dazu auch Gabis Post), der mich letztlich auch dazu motiviert hat, das Buch zu erwerben. Noch nicht ganz durch mit dem Text „trudelte“ gestern kurzfristig die Einladung zu seinem Vortrag hier in Hamburg „ein“, die ich dann auch sehr gerne wahrgenommen habe.

Der Vortrag selbst setzte ein soziologisches Grundverständnis ebenso wie Kenntnisse über die Reformbemühungen von Bologna und jüngerer Entwicklungen voraus, wenn ich es mit zeitlichem Abstand nochmals betrachte, denn: Vor allem von den anwesenden Studierenden wurde in der Diskussion die mangelnde Betrachtung der Inhalte beim „Sudoku-Effekt“ angesprochen bzw. eine entsprechende Fokussierung auf Inhalte und Interessen von Personen/Gruppen (anstelle der Beobachtung und Analyse von Strukturen) eingefordert. Bei allem Verständnis für diese Forderung lag das Interessante der dargestellten Perspektive doch mehr auf dem Strukturell-Analytischen, d.h. dem Ableiten von Effekten aus akteursbezogenen und organisationalen Zusammenhängen. Entsprechend ist auch der Sudoku-Effekt als Namensspender für Vortrag und Buch zu verstehen: In Analogie zu den Sudoku-Rätseln erklärte Kühl recht nachvollziehbar, wie Studiengangsplanung infolge von Modularisierung und (insbesondere) ECTS in diesen Zeiten vor sich geht. Er stellte heraus, dass jene immer weniger didaktisch motiviert sei und stattdessen vielmehr die Passung von Prüfungen in den Gesamtplan eines Studiengangs fokussiert werde. Auf diese Weise leitete er auch den Sudoku-Effekt ab, der nämlich die inhaltliche Selektion von Veranstaltungen, Inhalten und Prüfungsleistungen überlagert und einen möglichen Erklärungsansatz für die Bologna zugeschriebene Verschulung liefert. Diese machte er abschließend an drei Kernüberlegungen fest: (1) an einer wachsenden Zahl an Vorlesungen, (2) an einer Inflation von Prüfungen sowie (3) an einer deutlichen Einschränkung der (studentischen) Wahlmöglichkeiten.

Die Grundannahmen und Ausführungen des Vortrags waren in jedem Fall interessant, wenn man sich auf die soziologische Sichtweise auf ein an sich eher pädagogisch-didaktisches Thema einlässt. Gleichzeitig sind die zuletzt skizzierten Thesen aus meiner Sicht gewagt, da sie (zumindest im Vortrag) stark auf anekdotischen Erfahrungen basierten. Da muss ich jetzt tiefer ins Buch einsteigen, ob es dort möglicherweise weitere Erklärungsansätze (z.B. Einordnung in die Organisationstheorie oder Ideen für eine empirische Auseinandersetzung) gibt. Ansonsten würde ich mir selbiges für die weitere Diskussion und Vertiefung wünschen.

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Kommentar

  1. Vielen Dank für den Beitrag, Sandra! Ich konnte leider trotz Interesses nicht mit’lauschen‘, deshalb ist Zusammenfassung und die Verbindung zum Buch sehr willkommen.

    In gewisser Weise sorgen die ECTS für eine ungünstige Verbindung der Eigenschaften aus einem justiziablen Zertifizierungprozess und einem punktebasierten MassiveMultiplayerRoleplayingGame (wie z.B. „World of Warcraft“). Lee Sheldon und Jenna Hoffstein haben das in „Gaming the Classroom“ einmal durchgespielt: Es gab XP (d.h. Erfahrungspunkte) für Tasks von Gruppen und Individuen, beim Erreichen bestimmter XP-Stufen verbesserte sich die Seminarnote.

    Natürlich ist „Gaming the Classroom“ weder thematisch noch organisatorisch mit der BAMA/ECTS-Umstellung zu vergleichen. Interessant ist aber auf studentischer Seite das Einsetzen einer Art ‚Dienstleistungseffekt‘, d.h. die Tendenz, alle möglichen eigenen Arbeitsleistungen in Punkte umrechnen und via XP ‚in Rechnung‘ stellen zu können bzw. eine Umrechnungstabelle dafür zu erhalten:

    „Students really liked knowing the point values of each assignment. They felt they could ‚game‘ the class and figure out where to put in the effort (and where they could slack a little bit) to get a good grade. Once the expectation of points was set up though, the students wanted to get XP for every assignment and were disappointed when a few things (like the final verbal presentations to industry professionals) weren’t for XP.“
    – Blog ‚Gaming the Classroom‘ (2010); http://gamingtheclassroom.wordpress.com/t366-multiplayer-game-design-post-mortem/ (Stand: 09.05.2012)

    Man kann sich vorstellen, dass dieser Effekt größer ist, wenn die Veranstaltungen nicht aus intrinsischem Interesse am Thema besucht werden, sondern um möglichst rasch zum BA/MA ‚hochzuleveln‘.
    Begriffe wie „Grinding“ und „Gaming the Game“ wären dann auf das akademische Lernen anwendbar…