in Schule, Wissenschaft

Hochschulrahmenvertrag der VG Wort oder: Wenn Handlungspraktiken und geltendes Recht aufeinander prallen. #medida16

Es passt ja irgendwie ins Bild, dass der (neue) Hochschulrahmenvertrag der VG Wort erst jetzt intensiv diskutiert wird. Absehbar ist nämlich, dass sich zum 1.1.2017 gängige Handlungspraktiken von Hochschullehrenden und Studierenden verändern müssen.

Hintergrund sind Abgaben, die die VG Wort als Vertreterin der Autor*innen von den Hochschulen einfordert. Abgaben, die lt. geltendem Urheberrecht rechtmäßig sind, aber längst nicht mehr zu den Handlungspraktiken von Lehrenden und Studierenden an Hochschulen passen. Dort werden seit mindestens zehn, eher seit 15 Jahren und mehr digitale Materialien ins Lernmanagement-System (LMS) geladen und Lernenden zur Verfügung gestellt. Richtig war das nie, praktisch schon, wie vielerorts online zu lesen ist:

Urheberrecht vs. digitales Studieren“, RP online
Weitere Hochschulen winken ab“, Börsenblatt
Unirahmenvertrag: Studierende protestieren und Unis verweigern Unterzeichnung“, Netzpolitik.org
Unirahmenvertrag: Der Boykott der Hochschulen ist nachvollziehbar, die VG WORT muss verhandeln“, Pressemitteilung des Vorstands der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft (GMW)

Weiterführend lesenswert:
Tag der Kompromisse endet mit Eklat“, Stefan Niggemeier
Siggener Thesen zum wissenschaftlichen Publizieren im digitalen Zeitalter“, Merkur

Sehnsüchtig warten nun alle Hochschulen und ihre Mitglieder auf eine neue Lösung („Wissenschaftsschranke“), die die VG Wort und HRK im Gespräch eruieren soll. Die Wiederaufnahme von Gesprächen ist allerdings zu spät – zumindest für das laufende Semester. Für das Wintersemester 2016/17 müssen Hochschulen übergangsweise eine praktikable Lösung finden, mit den Urheberrechtsproblemen umzugehen.

Konkret sieht dies so aus, dass viele Hochschulen ihre digitalen Materialien löschen, Dozierende zum Löschen von Inhalten auffordern oder Systeme kurzzeitig abschalten. So auch an der Universität zu Köln, was vielfältige Anschluss-Diskussionen und nicht zuletzt Panik erzeugt. Dabei wäre mit der Hypertextstruktur des Internets vieles durchaus zu lösen…

So oder so ist die aktuelle Diskussion fachwissenschaftlich interessant: An der Diskussion um digitale Inhalte in den diversen LMS zeigt sich einerseits, dass die Hochschulen in den letzten Jahren bedeutend „digitaler“ geworden sind, als man gemeinhin öffentlich annimmt. Gerade digitale Plattformen, die nicht ohne Grund im Hochschuljargon „PDF-Schleudern“ genannt werden, sind üblich geworden. Andererseits haben die meisten Hochschulen das urheberrechtliche Problem sehenden Auges in Kauf genommen – nicht zuletzt, um Änderungen im Urheberrecht zu erzwingen oder das Problem (idealerweise) auszusitzen.

Man kann die Diskussion aber auch anders (produktiver oder pragmatischer) deuten: Mit dem neuen Hochschulrahmenvertrag der VG Wort gibt es endlich Gründe, sich mit medien- und urheberrechtlichen Fragen im Kontext der Hochschullehre zu beschäftigen. Das ist für Expert*innen seit vielen Jahren Alltag, mindestens seit der Hoffnung auf Lehrinnovationen durch digitale Medien, der „Erfindung“ von Open Access und Creative Commons. Jetzt scheint  das Zeitfenster zu sein, solche Diskussionen in der Breite zu führen und angemessene Lösungen für alle Beteiligten zu finden. Darüber hinaus könnten die Startbedingungen für unser neues Praxis- und Entwicklungsprojekt „OERlabs“ an den Universitäten Köln und Kaiserslautern kaum günstiger sein:

Wann, wenn nicht jetzt, sollte man über freies Bildungsmaterial (OER) ins Gespräch kommen?

Nachtrag, weil mich dazu eine Nachfrage erreicht hat: Mit „richtig“ meine ich oben, wenn ganze Bücher gescannt und online gestellt wurden etc.

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Kommentar

  1. Eine kurzfristige Einigung wäre wirklich super – wer hätte das gedacht… ?
    Viele Grüße,
    Sandra Hofhues

  2. Vielleicht ist es tatsächlich möglich etwas in Richtung OER zu verbessern. Gerade Hochschulen und Unis haben sich hier bisher oft dezent zurückgehalten. Deshalb sehe ich die jetzige Thematik sehr positiv. Der Sinn von OER und evtl. auch von Zusammenarbeit (Träume sind ja noch erlaubt) könnte dadurch mehr ins Beswusstsein rücken.
    Mit unserem Wissensmanagement-MOOC: https://mooin.oncampus.de/wmooc und der parallel entstehenden OER-Site https://wissensmanagement.open-academy.com sind wir noch auf recht taube Ohren hinsichtlich der Unterstützung von Ministerien (Ländern + Bund) sowie der Hochschulen und Lehrstühle gestoßen.
    Deshalb denke ich, das Jammern setzt am falschen Punkt an. Nicht die VG-Wort und der Hochschulrahmenvertrag sind das Problem, sondern die mangelnde Beschäftigung der Unis mit OER, welche das Problem schon seit vielen Jahren lösen könnten.
    Das Gleiche gilt für die Engstirnigkeit von Ministerien, die Investitionen in Digitalisierung oft unsinnig hoch fördern, aber das Thema der Inhalte und entsprechender nachhaltiger Initiativen dabei ausblenden.
    Ich hoffe, die VG Wort knickt nicht noch weiter vor der HRK ein. Sie sind schon genügend entgegen gekommen. Alternativen gibt es und Unis können doch nicht immer erwarten, alles geschenkt zu bekommen, vom Steuergeld bis zu den Inhalten von Autoren, die davon leben müssen.
    Entweder OER oder Lizenzgebühren oder LMS abschalten, sind ausreichende Optionen, das Gegenteil von „alternativlos“ ;-).
    Eine frohe Adventszeit

    PS: Text nicht zu wörtlich nehmen, aber den Kern einmal überdenken

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  • Realsatire | 14. Dezember 2016

    […] Segen gewesen wäre). Quasi alles andere aber sei jetzt schnellstens vom Netz zu nehmen. Sandra hat hier einige der Nachrichten zu diesem absurden Theater zusammengestellt. Auch die GMW hat (hier) eine […]

  • Randdiskussion oder neuer Gegenstand? Urheberrecht als Professionswissen der Mediendidaktik – Einführung in die Mediendidaktik 14. Dezember 2016

    […] Recht, was die aktuelle Diskussion umso komplexer macht. Details dazu habe ich u.a. auf meinem persönlichen Blog […]