E-Portfolio an der Schnittstelle von Studium und Beruf: Widerspruch in sich?

Einen Vorteil hat das schöne Sommerwetter: Man hat viele Gelegenheiten zum Schmökern in Büchern, da sie so wunderbar mobil und auch außerhalb heißer Räumlichkeiten zu nutzen sind. So habe ich gestern länger im Herausgeberband „E-Portfolio an der Schnittstelle von Studium und Beruf“ geblättert und gelesen, das in diesen Tagen in der Reihe „Medien in der Wissenschaft“ im Waxmann Verlag erschienen ist. Das Buch vereint mehrere Perspektiven auf den (E-)Portfolio-Einsatz an Hochschulen, wobei diese in großen Teilen klassischer Natur sind: So geht es zu Beginn um Grundlagen der Portfolio-Methode sowie um die Arbeit mit/an E-Portfolios. Im Folgenden dreht es sich um unterschiedliche Funktionen, die Portfolios in der Hochschullehre einnehmen, bevor die wesentlichen Zielgruppen – Studierende und Lehrende – zu Wort kommen. In den beiden letzten Kapiteln werden speziell Übergänge vom Studium in den Beruf sowie digitale Tools und notwendige Service-Leistungen thematisiert, was nicht zuletzt mit dem speziellen Fokus des Bandes von Damian Miller und Benno Volk zusammenhängt.

Gedanklich hängen geblieben bin ich vor allem am Text von Ramón Reichert, der sich in seinem Artikel der „Portfoliostrategie 2.0“ widmet und darin den gegenwärtigen Trend zur Selbstdarstellung im Netz aus medien- und kommunikationswissenschaftlicher Sicht betrachtet. So kann ich dem Hinweis, dass Portfolios eine lange Tradition in der Betriebswirtschaft aufweisen und man speziell in den „Vorzeigeportfolios“ den „aktiven Selbstoptimierer“ (Reichert, 2013, S. 107) wiederkennt, einiges abgewinnen. Auch ich habe schon länger Schwierigkeiten mit dieser einseitigen Auslegung der Portfolio-Methode in Richtung Produkt sowie öffentlicher Wirksamkeit, weil sich darin der Kern der Methode (u.a. Förderung von Reflexionsfähigkeiten, Empowerment von Lernenden) zugunsten anderer, individualökonomischer Überlegungen verliert. Es passt daher gut ins Bild, dass im Text u.a. die Frage nach dem Selbstmanagement (ebd., S. 113) aufgeworfen und auch in weiteren Artikeln diskutiert wird (u.a. im Text von Gabi Reinmann und Silvia Hartung zu Möglichkeiten des persönlichen Wissensmanagements mit E-Portfolios – gewissermaßen die andere Seite derselben Medaille). Interessant finde ich zudem die Hinweise zu Aufmerksamkeitsökonomien im Social Web sowie den Verweis auf das (alte) Prinzip „the rich get richer“ (ebd., S. 121), das in der derzeit häufig anvisierten, eher einseitigen Auslegung von E-Portfolios durchaus zutreffend erscheint. Im Fazit heißt es: „Der allgemeinen Gegenwartstendenz der Mediatisierung des Alltäglichen kommt die neue Praxis der autobiografischen Selbstthematisierung auf den Aufmerksamkeitsmärkten des Internet entgegen.“ (ebd., S. 127).

In den Kontext dieser Fragestellungen, nämlich den pädagogischen Kern der Portfolio-Methode und die ökonomische Notwendigkeit einer multiplen Anerkennung von (Lern-)Leistungen, fügt sich auch unser Interview mit (inzwischen früheren) Augsburger Studierenden ein: Zusammen mit den vier Studentinnen Ina Ertner, Eva Opitz, Verena Ott und Sarah Rohrer haben Thomas Sporer und ich vor rund zwei Jahren auf den Einsatz von E-Portfolios im Begleitstudium Problemlösekompetenz zurückgeblickt – und offen nach den Chancen wie auch Grenzen der Methode aus Studierendensicht gefragt. Was Reichert zuvor identifiziert hatte, findet sich in unserem Beispiel durchaus wieder: das permanente Changieren zwischen Lernen und persönlicher Kompetenzentwicklung auf der einen Seite und Anerkennung, Sichtbarkeit sowie Erfolg/Weiterkommen in den Begleitstudiumsprojekten auf der anderen Seite.

Die Entscheidung für die Portfolio-Methode und die Umsetzung in digitaler Form bleibt daher für formale Bildungskontexte ambivalent: Sie scheint für bestimmte didaktische Szenarien vernünftig, für andere hingegen nicht. Auch produziert man mit dem Einsatz Anschlussfragen, die mitunter stärker von ökonomischen Gedanken getrieben sind, als dies die Methode im ursprünglichen, pädagogischen Sinn nahelegte. Diese Verwobenheit sollte man im Sinn haben, wenn man z.B. reflexive Fähigkeiten des Einzelnen fördern möchte, aber zu didaktischen Konzepten kommt, die eher die Selbstvermarktung als bspw. ein Bewusstsein für eigene Stärken und Schwächen ansprechen. Insofern ist die Schwerpunktsetzung des Bandes gelungen, indem er klar die „Schnittstelle von Studium und Beruf“ bedient und sich mit den vielen, teils widersprüchlichen Fragen zwischen Pädagogik, Technologie/Medien und (Individual-)Ökonomie auseinandersetzt.

Quellen:
Ertner, I., Opitz, E., Ott, V., Rohrer, S., Hofhues, S. & Sporer, T. (2013). Unterstützung überfachlicher Kompetenzentwicklung in Projekten mit E-Portfolio-Arbeit: ein „Reality-Check“ aus Studierendenperspektive. In D. Miller & B. Volk (Hrsg.), E-Portfolio an der Schnittstelle von Studium und Beruf (S. 215–230). Reihe Medien in der Wissenschaft (Band 63). Münster: Waxmann.

Reichert, R. (2013). Portfoliostrategie 2.0. „Biografiearbeit“ und „Selbstnarration“ im Social Net. In D. Miller & B. Volk (Hrsg.), E-Portfolio an der Schnittstelle von Studium und Beruf (S. 105–132). Reihe Medien in der Wissenschaft (Band 63). Münster: Waxmann.

Rezension: E-Portfolios in der universitären Weiterbildung

Über den Sommer hatte ich die Gelegenheit, mich intensiv mit Klaus‚ Diss zu „E-Portfolios in der universitären Weiterbildung“ auseinanderzusetzen. An der Arbeit haben mich unterschiedliche Aspekte interessiert, unter anderem ging es mir um Szenarien für den E-Portfolio-Einsatz, aber auch um mögliche Hinweise zum Transfer des entwickelten Kremser Modells in andere Kontexte. Letzteres hat auch damit zu tun, dass ich mich täglich mit dem E-Portfolio-Einsatz auseinandersetze, allerdings weniger, um ein Werkzeug (unter mehreren) in den Studien- bzw. Lehr-Lernalltag zu integrieren, sondern vielmehr um Antworten auf pädagogische Fragen und Herausforderungen zu finden. Diese werden z.B. in unserer AG Theorie-Praxis-Transfer diskutiert, kommen mir aber auch in Gesprächen mit Lehrenden oder in Workshops regelmäßig „unter“. Insofern war die Lektüre der Arbeit aus unterschiedlichen Gründen interessant und bot die Gelegenheit zur Rezension, die jetzt in der MedienPädagogik erschienen ist.

USuS-Abschlusstagung

In den letzten Tagen war in Hamburg richtig viel los und direkt im Anschluss an das #jfhm12 folgte hier die USuS*-Abschlusstagung, zu der das ZHW der Universität Hamburg eingeladen hatte. Durch die Verpflichtungen am Vortag hatte ich „nur“ die Gelegenheit, die Veranstaltung am Freitag zu besuchen und habe unter anderem die Präsentation der Kernergebnisse verpasst. Diese sind allerdings digital zugänglich, worauf ich gerne zurückgreifen werde. Die kurze Stippvisite hat sich aber dennoch gelohnt:

  • So standen die Implementierung von E-Portfolios im Studiengang „Soziale Arbeit“ an der Hochschule München (Patricia Arnold) sowie im Lehramtsstudium der Universität Kassel (Dorit Bosse) und die Erfahrungen bei der Einführung derselben im Fokus. Sicherlich sind E-Portfolios aus Sicht von E-Learnern keine besondere Neuheit mehr; aus hochschuldidaktischer Sicht sind sie aber nach wie vor eine glückliche Antwort auf offene Fragen, etwa hinsichtlich des Theorie-Praxis-Transfers oder, wie ich an der HAW häufig sage, des Praxis-Theorie-Transfers, denn: Herausforderungen der Entwicklung von Transferwissen stellen sich an Fachhochschulen anders als an Universitäten, da Studierende hier viel stärker in den beruflichen Alltag eingebunden sind und teilweise erst Jahre nach dem Abitur ein Hochschulstudium zur Weiterqualifikation aufnehmen. Umso interessanter sind für uns die Erfahrungen von vergleichbaren Studiengängen an anderen Hochschulen, von denen wir für unsere Angebote im „Mediencurriculum“ viel lernen können.
  • Die Abschlussdiskussion zur Hochschulforschung im Kontext empirischer Bildungsforschung war ebenfalls interessant, da im Speziellen die Interventionsforschung betrachtet wurde. In der Diskussion fühlte ich mich vielfach an den Vortrag von Udo Kelle am Mittwoch erinnert; gleichzeitig kamen mir Diskussionen aus der Medienpädagogik in den Sinn, die sich zuletzt auch häufig um methodische Fragen sowie um die Perspektive der Gestaltung und Entwicklung(sforschung) dreh(t)en. Ohne jetzt im Detail auf Gemeinsamkeiten sowie essentielle Unterschiede einzugehen, möchte ich mit einem Ausspruch Joachim Ludwigs enden, der sein Anliegen früh formulierte und damit durchaus auch die Stimmung des Publikums traf: „Was wir brauchen, ist keine Interventionsforschung, sondern Bildungsprozessforschung.“

Insofern war die USuS-Abschlusstagung einmal mehr ein interessanter Ausflug an die Uni Hamburg, der auf unterschiedlichen Ebenen zu Anschlussdiskussionen und zur Vertiefung einlädt.

*Untersuchung zu Studienverläufen und Studienerfolg

Nachtrag vom 5. Juli 2012: Die Tagungsdokumentation ist inzwischen online auf den Seiten des ZHW verfügbar.