Vom Lernen und anderen (nackten) Tatsachen

Gestern hatte die Fachschaft MuK zusammen mit einem Organisationsteam aus Absolventen des MuK-Studiengangs zur Graduates09 geladen. Wie in jedem Jahr war ich auch dieses Mal dabei; ganz witzig, wie sich Rollen auf der Veranstaltung im Laufe der Jahre verändern können. Früher habe ich mitorganisiert und vor allem darauf geschaut, dass das Programm reibungslos abläuft. Heute bin ich meistens Gast und werde für spontane Aktionen angeworben (siehe Blogeintrag vom letzten Jahr). So durfte ich gestern zusammen mit Alex Glücksfee spielen und die Rosen an die Absolventen überreichen. Gerade letzteres mache ich wirklich gern, da ich die Absolventen seit Beginn ihres Studiums kenne, sie größtenteils und meist sogar mehrfach in meinen Veranstaltungen waren und ich mit vielen von ihnen als Hiwi am imb zu tun hatte bzw. habe. Von daher ist das auch für mich ein emotionaler Moment, denn natürlich ist die Beendigung des Studiums ein wichtiger Schritt für alle Beteiligten.

Die Grußworte des Boards des Studiengangs wurden per Videobotschaft eingespielt und hierzu hatte sich Gabi etwas Besonderes einfallen lassen. Sie hat die Geschichte von „Outlearning the Wolves“ (nach-)erzählt.

„Outlearning the Wolves“ als Analogie für eine Absolventenfeier aufzugreifen, war wirklich eine tolle Idee, denn einfache Grußworte ohne persönliche Note langweilen den Zuhörer recht bald. Durch die Analogie und einige Überraschungsmomente waren alle Anwesenden voll dabei, mehr noch: Sie waren gespannt auf den Ausgang und die Übertragung der Geschichte auf den Alltag von Studierenden bzw. von Absolventen und auf die künftigen Anforderungen oder Herausforderungen, die auf die Beteiligten zukommen. Schön fand ich persönlich den Schwenk auf die Organisation Universität, da viele Absolventen im Umfeld des imb oder der Fachschaft aktiv waren bzw. sind, wodurch sich eine besondere Form von Bindung an den Studiengang und an die entsprechenden Personen ergibt.

Ganz zum Schluss will ich die „nackten Tatsachen“ nicht verschweigen: So wurden viele Wissensprodukte aus Lehrveranstaltungen der letzten drei Jahre gezeigt, darunter auch mehrere Printkampagnen und Imagefilme aus meinen Seminaren. Das Prekäre dabei: Bei den Lernergebnissen meiner Veranstaltungen wurde viel Haut geboten. Ehrlich gesagt, war mir das in Gänze vorher nie so bewusst. Aber „Sex sells“ wird von den Studierenden offenbar als Motto sehr ernst genommen. Ich glaube, ich muss diese (bislang) ungekannte Häufung mal zum Thema machen… 😉

Ansonsten eine wirklich sehr schöne Feier, viel Wiedersehensfreude und einige interessante Gespräche. Bis zum nächsten Mal!

Gelesen: Theorie der Unbildung

Es ist schon wieder ein paar Tage her, dass ich die „Theorie der Unbildung“ (2006/2009) von Konrad Paul Liessmann gelesen habe, aber irgendwie lässt mich das Buch nicht los. Denn seine süffisante Art hat mir immer wieder ein Schmunzeln entlockt. Und mir auch gezeigt, wie gut man Probleme im Bereich Bildung in einfacher Sprache aufzeigen und damit mehrheitstauglich machen kann. Besonders amüsant finde ich das Einstiegskapitel „Wer wird Millionär oder: Alles, was man wissen muß“. Lustig ist der Einstieg deshalb, weil die Wissensshows im Fernsehen einfach kein Ende nehmen wollen und ich immer noch eine Reihe von Leuten kenne, die diese Shows lieben. Irgendwas muss daher an den Shows dran sein… oder? Dies ist schließlich auch der Grund, warum manch Lehrer die Wissensshow zum Anlass nimmt, anhand von gewitzt formulieren, Multiple-Choice-Fragen wieder Schwung in den Unterricht zu bringen. Liessmann bringt die Verquertheit eines solchen Umgangs angesichts des sonst vorherrschenden Versuchs, Faktenwissen (zumindest teilweise) abzulösen, auf den Punkt:

„So macht nicht nur Lernen, sondern auch Prüfen wirklich Spaß, und durch die Hintertür eines Medienereignisses gelangt das lange verpönte Abfragen beziehungslos nebeneinander stehender Daten, Fakten und Bedeutungen wieder in den Unterricht.“ (ebd., S. 16)

Im Folgenden erläutert er dann, was Wissensshows mit dem heutigen Zustand von Bildung zu tun haben:

„Formate wie die Millionenshow indizieren den Stand der Bildung auf der Ebene der massenmedialen Unterhaltung: als eine Erscheinungsform der Unbildung.“ (ebd., S. 17)

Ausgehend von Wer wird Millionär (oder der Millionenshow, wie es in Österreich heißt), macht sich Liessmann auf die Suche nach der (neo-)humanistischen Idee der Allgemeinbildung und muss (leider) konstatieren, dass diese zugunsten der Ökonomie und den Naturwissenschaften eher vernachlässigt wird (eine Erkenntnis, die wohl fast alle Geistes- und Sozialwissenschaftler teilen können). Ähnlich kritisch betrachtet er heutige Bildungsziele (insbesondere die Kompetenzorientierung in der Bildung) sowie die Art und Weise, wie Lernergebnisse als Outcome von Bildung gemessen werden. In Anlehnung an Nietzsche formuliert er:

„Eine Schule, die aufgehört hat, ein Ort der Muße, der Konzentration, der Kontemplation zu sein, hat aufgehört, eine Schule zu sein. Sie ist eine Stätte der Lebensnot geworden. Und in dieser dominieren dann die Projekte und Praktika, die Erfahrungen und Vernetzungen, die Exkursionen und Ausflüge. Zeit zum Denken gibt es nicht.“ (ebd., S. 62)

Bildung ist für ihn nicht mehr als ein „Sammelsurium von Kulturgütern“ (ebd., S. 68) und die „Distanz vom Geist“ (ebd., S. 72) letztlich Ausdruck von Unbildung: „Unbildung heute ist deshalb auch kein intellektuelles Defizit, kein Mangel an Informiertheit, kein Defekt an einer kognitiven Kompetenz […], sondern ein Verzicht darauf, überhaupt verstehen zu wollen.“ (ebd., S. 72)

Es gibt noch zig andere Stellen im Buch, die ich sehr geistreich finde – zwei davon sind die hier:

  • mit Blick auf das Postulat der Vernetzung: „Wer etwa ständig von Vernetzung faselt, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was er damit an Konformitätsdruck verkündet, mag dem Zeitgeist gehorchen, nicht aber dem Anspruch eines halbwegs souveränen Verstandes.“ (ebd., S. 72)
  • mit Blick auf den Wert von Evaluationen: „Die Idee neuzeitlicher Wissenschaft liegt in der Öffentlichkeit des vernünftigen Diskurses, liegt in der Möglichkeit der permanenten Kritik. Was ein Gedanke, eine Hypothese, eine Theorie, ein Fund, eine Beobachtung, ein Experiment taugen, erweist sich in der Auseinandersetzung mit Kritikern, erweist sich im Blick auf die Sache, um die es geht. Kaum ein Evaluator hat aber auch nur einen der Texte gelesen, die er evaluieren soll.“ (ebd., S. 101)

Die Ausführungen zur Bologna-Reform will ich an dieser Stelle aussparen, auch wenn sie sehr treffend sind; ich halte dieser Tage mehr davon, einen Blick auf die Bildungsproteste zu werfen und auf das, was bei Studierenden und bei Lehrenden in Punkto Bologna angekommen ist. Denn die kritischen Stimmen treffen im Kern genau das, vor dem Liessmann warnt: nämlich der Verschulung und der Ent-Wissenschaftlichung. Kein Wunder, dass er auch nur wenig von Elitenbildung und dem Ausbau von Eliteuniversitäten hält:

„Auch an Massenuniversitäten kann das Betreuungsverhältnis gut sein – vorausgesetzt, es gibt genügend Professoren; auch an Massenuniversitäten kann erstklassige Forschung betrieben werde, vorausgesetzt, die Belastung durch Lehre und Verwaltung wird angemessen verteilt und bei Bedarf delegiert; auch in der Massenuniversität haben begabte und eifrige Studenten die Möglichkeit, sich zu profilieren – vorausgesetzt, es gibt genügend Seminare, in denen sie auffallen können.“ (ebd, S. 129)

Das Buch bietet wirklich viele Facetten und noch eine Reihe an Themen, die ich hier nicht aufgeführt habe (z.B. Ausführungen zum Wissensbegriff, zur Ökologie des Wissens sowie zur Bedeutung von Sprache in Bildungsprozessen). Es endet schließlich mit damit, dass uns und unserer Zeit ein Spiegel vorgeführt wird:

„Bildung hatte einst mit dem Anspruch zu tun, die vermeintlichen Gewißheiten einer Zeit ihres illusionären Charakters zu überführen. Eine Gesellschaft, die im Namen vermeintlicher Effizienz und geblendet von der Vorstellung alles der Kontrolle des ökonomischen Blicks unterwerfen zu können, die Freiheit des Denkens beschneidet und sich damit die Möglichkeit nimmt, Illusionen als solche zu erkennen, hat sich der Unbildung verschrieben, wie viel an Wissen sich in ihren Speichern auch angesammelt haben mag.“ (ebd., S. 175)

Ich will keine Werbung machen, aber das Buch lohnt sich. Ihr könnt es Euch ja mal von mir ausleihen.

Quelle:

Liessmann, K.-P. (2006/2009). Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft. 2. Auflage. München: Piper.

War mir gar nicht so bewusst

… dass ein schon etwas älterer Artikel von Klaus Merten offenbar solche Aufmerksamkeit erregt hat. In dem Essay in der Fachzeitschrift pressesprecher gab der Kommunikationswissenschaftler im Jahr 2006 zum Besten, dass nur derjenige kommunizieren könne, wer auch lügen dürfe. Ja, richtig gelesen. Es ging dabei inhaltlich um PR und die Machenschaften von Kommunikationsmanagern. Bei der Vorbereitung auf mein morgiges Seminar habe ich den Artikel nochmals rausgekramt, weil ich finde, dass er sehr gut zum Nachdenken über PR anregt. Und beim Nachrecherchieren habe ich gerade entdeckt, dass damals mehrere namhafte Zeitungen und Blogs über den Tabubruch von Merten berichtet haben (z.B. die NZZ). Abgesehen davon, steht der Artikel in mehreren Literaturlisten von Lehrveranstaltungen und war offenbar Ausgangspunkt für Diskussionen unter Kommunikationswissenschaftlern, was bis zur Re-Formulierung der bisherigen PR-Definition führte. Mir ist der Artikel damals auch sofort aufgefallen und ich habe ihn gleich auf meinem Rechner geparkt. Was daraus entstehen würde, habe ich vor über drei Jahren wohl noch nicht geahnt. Spannend.

EduCamp Graz '09: ein Rückblick

Nach zwei Tagen EduCamp muss ich erst mal meine ganzen Gedanken sortieren. Ich bin vor allem mit der Erwartung nach Graz gefahren, das schon mehrfach gelobte Format BarCamp endlich selbst kennenzulernen: Es spricht sich einfach leichter über etwas, was man selbst erlebt hat; umgekehrt lässt sich schlecht urteilen über Vor- und Nachteile eines offenbar innovativen Formats, wenn man dieses nur vom Lesen und Hörensagen kennt (auch wenn man durch Blogs, Twitter und Co. einen recht umfassenden Eindruck erhalten kann). Von daher war ich besonders gespannt, wie sich die Veranstaltung vor Ort entwickelt und insbesondere darauf, wie es sich mit der Selbstorganisation von Sessions und den inhaltlichen Diskussionen verhält. Im Gegensatz zu klassischen Konferenzen sollen sich Inhalte und Gespräche von selbst ergeben und nicht lange im Voraus geplant werden. Außerdem besteht jederzeit die Möglichkeit, durch das Angebot neuer Sessions eigene Impulse einzubringen. Eine Chance, die auf vorab durchgestylten Tagungen auf die Kaffeepause verschoben werden muss.

Genau diese spontanen Sessions waren es dann auch, die mich inhaltlich am meisten zum Nachdenken angeregt haben: Sie knüpften an beobachtbare Phänome, konkrete Probleme oder künftige Herausforderungen im Bereich Bildung an und waren dadurch stärker in die Zukunft gerichtet. Oftmals standen Ideen mit Gestaltungsspielraum für das „Publikum“ im Vordergrund. Folglich wird sehr offen diskutiert und dem Diskurs viel Raum und Zeit eingeräumt.

Wie groß dieses Bedürfnis ist, zeigte sich gleich zu Beginn auch bei unserem Bildungssofa. Das Bildungssofa hat zum Ziel, generationenübergreifend über bildungsspezifische Fragestellungen zu sprechen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. So ging es dieses Mal im weistesten Sinne um die „Macher“ von Bildungsinnovationen und was „EduPunks“ und „Establishment“ voneinander lernen können (die Streams sind online zugänglich). Im Prinzip eine spannende Idee, auf diesem Weg den Dialog zwischen den unterschiedlichen Generationen anzukurbeln und vor allem ein Bewusstsein für die Vor- (und Nach-)Teile der jeweils anderen Perspektive zu stiften. Ich sage deshalb „im Prinzip“, denn die Diskussionsbereitschaft der Teilnehmer war so groß, dass wir den inhaltlichen Fokus des Sofas zugunsten der vielen Fragen aufgeben mussten.

Die Frage ist nun, ob ein solches Lösen von konkreten Inhalten gut oder schlecht ist, ob es im Rahmen des EduCamps wichtig ist, Freiheiten zu schaffen, und wie es mit der prinzipiellen Übertragbarbeit eines solchen dialogorientierten Sofas auf andere (möglicherweise stärker durchorganisierte) Veranstaltungen aussieht. Wir selbst sind in dieser Hinsicht unschlüssig, denn: Auf der einen Seite müssen Tom und ich selbstkritisch zugeben, dass wir das eigentliche Vorhaben nicht ganz durchgehalten haben; auf der anderen Seite waren die Diskussionsinhalte ausgehend von den Statements von Doris Carstensen und Thomas Bernhardt so spannend und informativ, dass ich rückblickend ungern darauf verzichtet hätte. So oft gibt es schließlich Diskussionen auf einem Podium, die ohne konkrete Impulse zu Ende gehen. Das war hier eindeutig anders: Aufgrund der Diskussionsinhalte entstanden neue Sessions (unter anderem zur Frage der Bewertungskriterien von Blogs) und die räumliche Gestaltung (Stuhlkreis, Sofa in der Mitte) wurde von Beginn bis zum Ende der Veranstaltung nicht mehr verändert. Der Raum mit dem roten Sofa wurde so immer wieder zum Gesprächsinhalt und zum beliebsten Ort des Camps.

Leider erlaubten nicht alle Räume die dialogorientierte Umgestaltung: Durch das Nutzen von Hörsälen waren die Bankreihen vorgegeben; die Frontalsituation war trotz Versuchen der Teilnehmer oftmals gegeben. Mit der räumlichen Gestaltung wird so offenbar ein Schema abgerufen, dass starken Einfluss auf die jeweilige Rolle der Beteiligten nimmt. Dies muss man aus meiner Sicht für weitere Veranstaltungen dieses Formats im Kopf behalten, da die prinzipielle Offenheit und die hierarchiearme Struktur zu den Grundprinzipien gehört.

Abseits von den Formatfragen fand ich den Austausch mit Mo, Ralf und Thomas über den Einsatz von Web-2.0-Tools in der Lehre sehr interessant. Noch immer scheint nämlich der Gebrauch von Tools alles andere als selbstverständlich und eine gewisse Kompetenz im Umgang etwa mit Blogs zu fehlen. Abgesehen davon haben wir die konkreten Bewertungsmöglichkeiten von Blogs diskutiert und inwieweit wir selbst Kriterien für das öffentliche Schreiben und Reflektieren vergeben. Auch hier scheint noch unklar zu sein, was der optimale Weg ist: Zu viele Vorgaben unterbinden das kreative Schreiben; mangelnde Kriterien können den Einstieg in das Schreiben vermasseln; welche Rolle spielt der „Besitz“ des Blogs? Dass der Lehrende gewisse Vorstellungen über Ziele des Werkzeugeinsatzes haben soll, darüber bestand Einigkeit – allerdings wiederum erstaunlich, dass wir nur solche Lehrende ausmachen konnten, die Web 2.0 in der Lehre einsetzen, wenn Web 2.0 auch Gegenstand in der Veranstaltung ist. Ich hätte so etwas vorab vermutet, aber in der Deutlichkeit nicht unbedingt erwartet. Bleibt also zu fragen: Wo sind diejenigen, die sich Web 2.0 auch in fachfremden Kontexten zueigen machen?

Interessant war zudem die Diskussion darüber, welche Rolle E-Portfolios heutzutage spielen können, und der Fokus, mit dem E-Portfolios auf dem EduCamp diskutiert wurden. So stand immer wieder das Bewerbungsportfolio im Vordergrund, anhanddessen sich Arbeitgeber ein Bild vom potenziellen Mitarbeiter machen könnten. Die Möglichkeiten, E-Portfolios für das Lernen einzusetzen und insbesondere prozessorientierte Fortschritt für den Lernenden (und den Lehrenden) zu dokumentieren, wurden als wichtig erkannt, aber teils auch als „durch“ empfunden. Es gäbe viele andere Werkzeuge, die ähnliche Funktionen erfüllen könnten. Mich begeistern solche Diskussionen gerade deshalb immer, weil sie dann entstehen, wenn der erste Hype eines Tools vorüber ist und es um konkrete Anwendungsszenarien bzw. um ihren nachhaltigen Einsatz als Bildungsinnovation geht.

Ein paar mehr Studierende auf dem EduCamp hätte ich mir noch gewünscht. Das will ich nicht unerwähnt lassen, denn so oft sprechen wir über Lernende und nicht mit ihnen. Hier gibt es mit Sicherheit noch Potenzial nach oben.