in Wissenschaft

Lesenswert: „Halbmedienkompetenz“

Viel zu selten verweise ich im Blog noch auf Fundstücke, die ich lesenswert finde. In diesem Fall will ich es aber doch machen, nämlich auf den Beitrag zur „Halbmedienkompetenz“ von Thomas Damberger. Der Autor nimmt in Anlehnung an Adornos (2006) Wortschöpfung der Halbbildung grundlegend an, „(…) dass wir bei unserem Vorhaben, Menschen zu einem kompetenten Umgang mit Medien zu führen, in der großen Gefahr stehen, sie zur Halbmedienkompetenz zu verführen. … Und die Hälfte, um die es mir geht, ist die kritische Dimension“ (Damberger, 2013, S. 2).

Am Beispiel problemorientierter Konzeptionen im Bereich Medien wird diese Grundannahme deutlich:
„Ein Problem, das es zu lösen gilt, muss als Problem erkannt werden. Lediglich zu lernen, wie man Probleme löst, die andere vorgeben, erinnert an eine naturwissenschaftliche Vorstellung von Kompetenz und ist weit davon entfernt, einen Menschen zu befähigen, in Situationen Probleme als solche (für sich) zu bestimmen. Im Gegenteil, eine solche Kompetenz ist affirmativ, also das Gegenteil von Kritik.“ (ebd., S. 3)

In der Diskussion stellt der Autor heraus, dass mediale Handlungspraktiken nicht nur von Fähigkeiten des Einzelnen bestimmt werden, sondern insbesondere von seinem Willen zur Auseinandersetzung mit/über Medien abhängen. Auch illustriert er, dass Medien häufig eigene Probleme „praktisch werden lassen“ (ebd., S. 4) und Angst im Umgang mit Medien darin begründet liegen bzw. daraus resultieren könnte. Unter didaktischen Gesichtspunkten ist zu ergänzen, dass daran vor allem funktionale, meist eindimensionale Konzepte zur Entwicklung (technisch-instrumenteller) Medienkompetenzen anschließen. Dieser Perspektive sei aber keine pädagogische Sichtweise inhärent, sondern allenfalls ein naturwissenschaftlicher Kompetenzbegriff (ebd., S. 2). Werde aber Mündigkeit als Bildungsziel anvisiert, müsste nach Ansicht Dambergers (2013) „[d]em ‚Freisein-von‘ […] ein ‚Freisein-für‘ gegenüberstehen, und dieses Andere der Autonomie ist nichts Geringeres als ihr Ziel, man könnte auch sagen: ihre regulative Idee“ (ebd., S. 7).

Ausgehend von dieser normativen Grundannahme kommt der Autor zu folgendem Schluss:
„Wenn die kritische Dimension von Medienkompetenz in der Medienmündigkeit liegt und Mündigkeit einer die Menschlichkeit bedenkenden und evozierenden Bildung bedarf, dann ist derjenige, die über die kritische Dimension der Medienkompetenz nicht verfügt und damit halbmedienkompetent ist, im pädagogischen Sinne medieninkompetent.“ (ebd., S. 7)

Fazit. Der Beitrag greift insgesamt ein höchst aktuelles Charakteristikum derzeitiger Konzeptionen von Medienkompetenzen auf: nämlich die grundsätzlich zu begrüßenden Förderbemühungen im Kontrast zu aktuellen Umsetzungsbeispielen, die sich nicht nur durch eine didaktisch vermittelnde Position auszeichnen, wie Sesink (2008, S. 13f.) sie nennt, sondern mit der Dimension der Medienkritik zugleich einen wesentlichen Bereich eines kompetenten Umgangs mit Medien unterschlagen. Diese Auslassung mag vielleicht nicht gleich zu einer „Halbmedienkompetenz“ führen, wohl aber zu einer konzeptionellen Schieflage im Mainstream mediengestützten Lehrens und Lernens, die für alle Bildungskontexte bedenkenswert ist.

Literatur

  • Adorno, T. W. (2006). Theorie der Halbbildung (Erstauflage: 1959). Frankfurt: Suhrkamp.
  • Damberger, T. (2013). „Halbmedienkompetenz?“ – Überlegungen zur kritischen Dimension von Medienkompetenz. medienimpulse. Beiträge zur Medienpädagogik. http://www.medienimpulse.at/articles/view/496
  • Sesink, W. (2008). Bildungstheorie und Medienpädagogik – Versuch eines Brückenschlags. In J. Fromme & W. Sesink (Hrsg.), Pädagogische Medientheorie (S. 13–35). Wiesbaden: VS.

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  • Rückblick: #JFMH16 | Sandra in the Sky

    […] Inhaltlich fand ich die Schwerpunktsetzung des JFMH16 ohnehin sehr interessant und gelungen: Mit dem Titel „die vermessen(d)e Bildung“ wurde ein Feld in Hochschul- und Mediendidaktik adressiert, das m.E. zu wenig diskutiert wird. So lernten wir schnell, was ‚theoretisch‘ (also vor allem technisch oder lehr-lernpsychologisch) hinsichtlich automatischer Erhebungs- und Messverfahren alles möglich ist. Eine angeregte Diskussion schloss sich an. Die Sessions waren dann darauf angelegt, bestimmte Tendenzen in Wissenschaft und Technologie zu hinterfragen – am Beispiel der Einreichungen der Teilnehmenden selbst. Ich hatte das Glück, der Learning-Analytics- bzw. E-Portfolio-Session beizuwohnen und hier mit den Vortragenden über technische Entwicklungen (z.B. Curriculum-Crawler) und über Grenzen von Technologie (z.B. durch das Rekurrieren auf das Humboldt’sche Bildungsverständnis) zu diskutieren. In dieser Session entstanden (auch) ganz neue Projektideen, was einmal mehr Ausdruck der tollen Atmosphäre auf dem JFMH ist. Den ersten Tag rahmte – zumindest für mich – die Keynote von Thomas Damberger, der sich dezidiert dem Phänomen des „Quantified Self“ widmete. In der anschließenden Diskussion hieß es dann so schön: Der Vortrag machte jede Menge Türen auf. Mir ging es ähnlich, zumal ich viele Passungen zu seinem älteren Artikel zur Halbmedienkompetenz (wieder) entdeckt habe (siehe Blogpost von damals). […]