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Gelesen: CHE-Arbeitspapier „Die digitale (R)Evolution“

Ein Arbeitspapier hat es an sich, dass man mit ihm arbeiten kann und soll. So bin ich heute dank Twitter über das neue Arbeitspapier des CHE zu „Chancen und Grenzen der Digitalisierung akademischer Lehre“ gestolpert, das unter dem Titel „Die digitale (R)Evolution“ veröffentlicht wurde (zum Download).

Dem Status eines Arbeitspapiers wird das PDF an vielen Stellen gerecht, indem nämlich eine Reihe aktueller Diskussionsstränge des Medieneinsatzes an der Hochschule aufgegriffen werden, u.a. der bis auf Weiteres anhaltende MOOC-Trend. Das Papier ist dabei im Wesentlichen hochschulstrategisch getrieben, das heißt, es geht weniger um die Gestaltung von einzelnen Lehrveranstaltungen als um Handlungsfelder einer Digitalisierung, die, so heißt es im Papier, ausgehend von den USA auch auf Deutschland überschwappt. Zu den sechs benannten und beschriebenen Handlungsfeldern (Bischof & von Stuckrad, 2013, S. 51) gehören: 1. Zugang zu Bildung, 2. Effizienz der Lehre, 3. Qualität der Lehre, 4. Weiterbildung, 5. Recruiting und 6. Hochschulmarketing. Obschon die Handlungsfelder aus hochschulstrategischer Sicht nachvollziehbar sind, bereiten sie mir im Detail einige Bauchschmerzen. So wird an vielen Stellen recht euphorisch mit Entwicklungen in den USA umgegangen, die vor Ort keineswegs derart positiv betrachtet werden; auch werden ältere Diskussionen aus Deutschland nicht einbezogen, was dazu führt, dass weder konzeptionelle Arbeiten für das hiesige Bildungssystem noch zugehörige empirische Befunde berücksichtigt sind. Digitalisierung wird so für meinen Geschmack zu sehr als globaler gesellschaftlicher, ökonomischer Trend und zu wenig als individuelle sowie nationale Aufgabe betrachtet. Das zeigt sich bspw. an den Grundannahmen zu den Selbstorganisationsfähigkeiten von Studierenden (ebd., S. 24), die auf Weiterbildungsinteressierte sicherlich zutreffen, auf grundständige Studierende im gegenwärtigen Bildungssystem jedoch nicht; es zeigt sich an den Konsequenzen radikal zuende gedachter Offenheit (ebd., S. 46), die aufgrund von Skalisierungsgraden und (technischer) Standardisierung alles andere als individualisiert sind und gut betreut werden; einen Gedanken wert finde ich das vorgeschlagene Peer-Review-System für Lehrpersonen (ebd., S. 52), vermute aber, dass wir hier angesichts von Lehr-Routinen und sozialisationsbedingten Gewohnheiten nach wie vor einen (normativen!) Diskurs darüber benötigen, was gute Lehre ganz unabhängig von „den Medien“ ist und wohin sie führt.

Alles in allem also ein interessantes Papier, dessen Inhalte ich durchaus diskussionswürdig finde. Vielleicht ergeben sich auf der Tagung „MOOCs and beyond“, auf die es vorbereiten sollte, weiterführende Möglichkeiten zum Gespräch. Und natürlich kann man auch hier kommentieren und mit mir diskutieren.

Quelle:
Bischof, L. & von Stuckrad, T. (2013). Die digitale (R)Evolution. Chancen und Grenzen der Digitalisierung akademischer Lehre. Gütersloh: CHE.

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Kommentar

  1. Hallo Sandra,
    mich hat der Link auch schon vor ein paar Tagen erreicht, aber ich bin noch nicht dazu gekommen, das zu lesen. Umso schöner, dass es von dir schon ein kleines Review gibt ;-). Mich beunruhigt bereits das Vorwort. Und nach wie vor wundert es mich, wie MOOCs die seit Ende der 1990er Jahre bestehende Diskussion um den Einsatz digitaler Medien in der Lehre einen derartige Wirkung haben entfalten können, die suggeriert, dass wir grad was gänzlich Neues vor uns haben ….
    Viele Grüße
    Gabi

  2. Hallo Gabi,
    das ist mir nach den Eindrücken in den USA ebenfalls nicht erklärlich. Vor allem sehe ich derzeit nur eine Übersetzung des Gewohnten ins Digitale und das ist sicherlich eine sehr knappe Auslegung dessen, was wir seit mehren Jahrzehnten an mediendidaktischen Konzepten haben und auch weiterentwickeln.
    Liebe Grüße,
    Sandra