Rückblick: #pleconf 2014 in Tallinn (Estland)

Seit einer Woche bin ich wieder zurück, aber die Reise nach Tallinn (Estland) zur PLE-Konferenz 2014 wirkt noch nach. Zum einen, weil Tallinn für Technologie-affine und interessierte Personen ein spannender Ort ist (viel wurde nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion neu aufgebaut bzw. befindet sich im Aufbau; Ähnliches gilt übrigens für das Bildungssystem, das sich weitestgehend an Skandinavien orientiert); zum anderen, weil die PLE-Konferenz eine kleine, aber smarte Veranstaltung ist, die ich seit längerem mal besuchen wollte. Glück hatte ich, dass der Besuch dieses Jahr durch die Semesterferien an der ZU zeitlich gut möglich war und dass Sebastian mich an die Konferenz erinnert hat, sodass ein Wiedersehen in Tallinn möglich wurde.

Drei Dinge nehme ich inhaltlich vom Konferenzbesuch mit: Erstens habe ich durch den Konferenzbesuch eine Vielfalt der Positionen zu Personal Learning Environments wahrgenommen, die im deutschsprachigen Raum eher als soziotechnisch geprägt gilt und sich gegen den Vorwurf technischer Auslegungen (vs. didaktischer Konzepte) häufig wehren muss. In der internationalen Diskussion sind diese Pole auch spürbar, aber bewegen sich eher auf einem Kontinuum mit vielfältigen Ausprägungen und disziplinären Hintergründen hin und her. Auch sind die Diskussionen mal theoretisch-konzeptioneller Natur, mal geht es um die Empirie „dahinter“ (Stichwort: Evidenzbasierung), und mal werden praktische Implikationen für recht unterschiedliche Kontexte offen diskutiert. Mein Interessensgebiet der Medienökologien lässt sich in Teilen in der Diskussion verorten, durch den mediensoziologischen und hochschuldidaktischen Bezug geht sie aber teilweise beträchtlich darüber hinaus oder vertieft eher Gestaltungsfragen. Auch habe ich den Eindruck, dass so manche Diskussion im weiten Feld von Lernumgebungskonzepten, Medienökologien oder Bildungsräumen eine spezifisch deutsche ist: nämlich die um Konzepte von Medien und Bildung, die hierzulande Hochschul- und Mediendidaktik und technische Entwicklungen maßgeblich prägen. Insofern nehme ich zweitens von der Konferenz mit, wie stark eigene Arbeiten dem Bildungsverständnis unterliegen, ganz unabhängig davon, ob man es tatsächlich thematisiert und damit zum Gegenstand von (Forschungs-)Aktivitäten macht. Deutlich wurde dies bspw. am Ansatz des Design as Research, den Heidrun Allert und Sabine Reisas präsentierten: Während mir grundlegende Ideen, u.a. auch durch den engen paradigmatischen Bezug zu Design-Based Research gleich klar wurden, hatten internationale Tagungsgäste durchaus Schwierigkeiten, Zugang zum Ansatz zu finden. Letzteres mag daran liegen, dass es zwar Diskurse über Lernen (engl. Learning) und Erziehung (engl. Education) gibt, der Bildungsbezug aber historisch gesehen fehlt. In Deutschland ist hingegen üblich, eine „Bildung durch Wissenschaft“ an Hochschulen ideell bzw. normativ zu unterstützen, was sich auf Positionen zum Lernen und zur Didaktik nachhaltig, oft aber nur implizit auswirkt. Drittens nehme ich tatsächlich den Ansatz des „Design as Research“ mit, der über die Methode des Design Thinking hinaus geht und versucht, insbesondere implizites Wissen gemeinsam produzierend und kreativ offen zu legen. Noch fehlte die Zeit, an dieser Stelle nachzulesen, daher vorerst ein Tipp zu einem weiterführenden Konferenzbeitrag der Kieler.

Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung bin ich in Tallinn auf eine kleine, interessierte Gruppe an Forschenden und Praktikern gestoßen, die sich sehr offen für Gespräche und neue Personen in „ihrer“ Community gezeigt haben. Letzteres ist ein wiederholt schönes Gefühl, als „Sparringspartnerin“ oder „Satellit“ gerne gesehen zu sein. Entsprechend denke ich gerne zurück an die vier Tage in Estland, die auch persönlich bereichernd waren: Selten zuvor bot sich die Gelegenheit, in ein modernes westliches, aber auch russisch geprägtes Land zu blicken und in Kultur und Lebensweisen durch Sebastians tolles Rahmenprogramm ein wenig einzutauchen. Tänan!

Unfertiges zur Diskussion

Wenn Expertinnen und Experten eingeladen werden, erwartet man von ihnen in der Regel theoretische Positionen, empirische Befunde und ein wenig Aufschluss für die eigene Tätigkeit. Wenn Gäste allerdings in Lehrveranstaltungen eingeladen werden, kann es mitunter problematisch sein, wenn die Themen zu eng, die Meinungen zu fest und die Rollen zu klar abgesteckt sind. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, meinen Impuls im Seminar „Aktuelle Fragestellungen“ im Studiengang „E-Learning und Medienbildung“ an der PH Heidelberg gestern möglichst offen zu gestalten: So hatte ich allerhand Informationen und vor allem Fragen, weniger Antworten im Gepäck, die man besprechen konnte, aber nicht musste. Auf diese Weise kommt ein Impuls zu „Medienökologien an der Hochschule“ dem gleich, was er in dem Rahmen meines Erachtens sein sollte: ein Anstoß zum Überdenken eigener Studieninteressen und Inspiration für mögliche Abschlussarbeitsthemen ebenso wie deren Ablehnung. Welche Bedeutung die Lehrveranstaltung für letzteren Aspekt hat, weiß ich noch aus eigener Erfahrung: Immerhin war ich im letzten Jahr selbst für die Veranstaltung verantwortlich und habe ausgehend von einer Lektüre allerhand „unfertige“ Themen mit Studierenden bearbeitet und diskutiert. Insofern war der Vortrag in Heidelberg mehr als nur ein Vortrag, nämlich auch ein Ausflug in die Vergangenheit unter anderen Vorzeichen. Schön war’s!

Tabus an der Hochschule

… lautete der Titel der 9. Jahrestagung der Gesellschaft für Hochschulforschung (GFHF), die in der letzten Woche an der TU Dortmund (organisiert vom Team des zhb und des GFHF-Vorstandes) stattfand und allerhand Tabus ebenso wie Tabubrüche im Kontext Hochschule offenlegte. Das breite Spektrum der Tabus ergibt sich dabei aus der Vielfalt disziplinärer Zugänge zur Hochschulforschung über ausschließlich bildungs- bzw. organisationssoziologische Prägungen hinaus, aber auch aus dem zugehörigen Call for Presentations, dem ein gewisser Öffnungsprozess gegenüber den Vorjahren zugrunde lag. Entsprechend war und ist es nicht ungewöhnlich, dass auch ein Track Lehre auf der Tagung der Hochschulforscherinnen und -forscher zu finden ist, obschon Hochschulforschung und Hochschuldidaktik in jüngerer Zeit eher getrennte Wege gegangen sind und sich erst langsam über Personen, Themen und Förderlinien wieder annähern.

Letzterer Annäherungsprozess und das Tagungsthema war es dann auch, was mich bewegte, mit einem Vortrag zur ‚Forschungsorientierten Gestaltung im Studieneingang‘ nach Dortmund zu reisen. Mit meiner Kollegin Grit Würmseer habe ich dabei die Gelegenheit des gemeinsamen Blicks genutzt: hinsichtlich etwaiger Schnittmengen von Hochschuldidaktik und Hochschulforschung, aber auch hinsichtlich der verschiedenen Gestaltungsebenen, die Forschungsorientierung in dieser höchst relevanten Phase des Studiums adressiert. Dazu passend haben wir drei Thesen entwickelt, die uns zur Strukturierung des Vortrags, aber auch zur weiteren Diskussion mit den Teilnehmenden dienten:

1. These | Makroebene der Universität
‚Bildung durch Wissenschaft‘ wird zwar generell befürwortet, eine konsequente Forschungsorientierung ist angesichts herausfordernder, struktureller Bedingungen an Universitäten aber (eher) tabu.
2. These | Mesoebene der Programmgestaltung
Studentische Forschung speziell im Studieneingang ist angesichts vorherrschender Prämissen und Routinen seitens der Lehrpersonen und der Hochschulleitungen (eher) tabu.
3. These | Mikroebene der Lehrveranstaltung
Forschungsorientierung in Lehrveranstaltungen ist in unterschiedlichen Ausprägungen vorhanden, ein ‚fail forward‘ ist aber (eher) unüblich und damit tabu.“

These drei bildete ausgehend von unserer didaktischen Betrachtungsweise den Schwerpunkt. Dieser ist natürlich, wenn man Hochschuldidaktik zuerst synonym mit einer hochschulbezogenen Lehr-Lernforschung versteht. Darüber hinaus boten sich aber genügend Ankerpunkte zur Diskussion über die eher organisations- oder bildungssoziologisch geprägte Mesoebene, weil die Umsetzung von Forschungsorientierung besonders auf den übergeordneten Gestaltungsebenen ‚hakt‘ und dort ebenso intensiver und didaktischer Betrachtung bedarf. Die Hinweise zur Makroebene sind hingegen fast allgemeiner Natur, wenn man überlegt, wie Thematisierungsstrategien an Hochschulen/Universitäten vonstatten gehen und welche auch managerialen Instrumente zur – wiederum – didaktischen Gestaltung bestehen. Nach theoretischer, empirischer und didaktischer Betrachtung kamen wir dann zu dem Schluss, dass Forschungsorientierung im Studieneingang zwar generell machbar ist, in den unterschiedlichen, vorliegenden Konzepten aber selten alle Gestaltungsebenen gleichermaßen bedient werden.

Gleichzeitig haben wir ausdifferenziert, warum jene Forschungsorientierung aus unserer Sicht im Spannungsfeld von Zumutung und Zutrauen liegt. Gerade die meist widersprüchlichen Aussagen von Studierenden zur Forschungsorientierung deuten an, dass diese für sie manchmal einer Zumutung gleichkommt, aber: Wird Rolle als Forschende wahrgenommen, kommen sie zu einem subjektiv ‚besserem‘ Lernergebnis. Entsprechend gilt es, Widersprüchlichkeiten forschenden Lernens/forschungsorientierter Lehre insgesamt zu akzeptieren und systematischer zu implementieren, evaluieren und weiterzuentwickeln (etwaige Zumutung, aber auch Forschungsperspektive im Sinne entwicklungsorientierter Bildungsforschung). Zudem erfordert die übergreifende Programmgestaltung Kollaboration und Vernetzung der Lehrenden, arbeitsteiliges Vorgehen usw. (also ein Zutrauen, entspricht aber auch der pädagogischen Hochschulentwicklung als Gestaltungsmoment von Hochschulforschung). Die große Herausforderung bleibt die angemessene und ausgewogene Bearbeitung von Themen/Inhalten (Fachlichkeit), Methoden und Metastrategien zur Bewältigung forschungsorientierter Formate, aber auch die Möglichkeit des (studentischen) Scheiterns innerhalb dieser Lernumgebungen.

Anders als sonst ergeben sich aus dem Vortrag somit vor allem Fragen, sprich Forschungsfragen, die auf Mikro-, Meso- und Makroebene nach Möglichkeiten der Instruktion und Begleitung beim forschenden Lernen, nach (Bildungs-)Räumen zur Forschungsorientierung zu Studienbeginn, nach Routinen und Haltungen von Lehrenden oder auch nach weiteren Rahmenbedingungen suchen und diese erforschen (wollen). Stellt man sich nämlich diese Fragen, beginnt man das antizipierte Tabu der Forschungsorientierung rasch zu brechen. Dass dazu vor allem das studentische Scheitern im Sinne eines ‚fail forward‘ akzeptiert werden muss, ist nicht nur eine Option, sondern eine Notwendigkeit sowohl der praktischen als auch der weiteren wissenschaftlichen Auseinandersetzung insbesondere bei Lehrpersonen und Forschenden.