Kreisende Gedanken (rund um Open Science)

Ein Blogbeitrag wird kaum reichen, um das Fellowprogramm ‚Freies Wissen‘ der Wikimedia Deutschland, des Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft sowie der Volkswagen Stiftung umfassend zu reflektieren. Ich probiere es trotzdem, weil ich nach dem Bahnchaos im letzten Jahr am zurückliegenden Wochenende erstmals die Gelegenheit hatte, als Mentorin an einem der zugehörigen Präsenztreffen (Workshop an der TIB Hannover) teilzunehmen. Das Fellow-Programm finde ich schon alleine deshalb spannend und wichtig, weil darin Vertreter*innen unterschiedlicher Disziplinen zusammenkommen und alle gemeinsam über Fragen von Open Science diskutieren. Dass die Diskussionen anregend sind, merkt man immer abends nach einem Workshop-Tag: Der Kopf glüht und die Gedanken kreisen!

Um welche Aspekte sich die Gedanken kreisen, lässt sich nur ansatzweise wiedergeben: So finde ich den Dialog über Daten und Wissen zwischen den Fellows und Mentor*innen extrem wichtig, weil Disziplinen hier eine unterschiedliche Praxis pflegen, gleichwohl aber ähnliche Fragestellungen hinsichtlich des öffentlichen Zugangs von Wissen bearbeiten. Besonders fällt mir dies auf, wenn wir vor Ort über Forschungsdatenmanagement diskutieren und die Bedeutung von (Forschungs-)Prozess-Dokumentation und „Zwischenprodukten“ (Daniel Mietchen) herausarbeiten. Denn die gegenwärtige Praxis des Forschungsdatenmanagements legt nahe, dass gerade diese Prozesse nur sehr zurückhaltend Eingang finden in die Abschluss-Dokumentation bzw. -Interpretation. Ich empfinde die Reflexion darüber auch deshalb als wichtig, weil sich Daten in ihrer Art und in ihrem Umfang unterscheiden. Forscht man beispielsweise qualitativ, lassen sich Daten zunächst einmal schwieriger greifen; sie müssen entweder in Form von Protokollen, Beobachtungsbögen oder Feldnotizen zugänglich gemacht oder besser als Artefakte gespeichert werden. Letzteres sorgt aber für viele Schwierigkeiten: Datenschutz bzw. forschungsethisches Vorgehen und Speicherplatz sind nur zwei davon. Wird über die Replizierbarkeit von Daten gesprochen, ist man ohnehin schnell beim (paradigmatischen) Verständnis von Forschung.

Rasch wurde der Ruf laut nach einem Forschungsdatenmanagement, welches unterschiedliche Daten aufnimmt – und zwar nicht nur hinsichtlich des Medientyps (Text, Bild, Audio, Video, …), sondern auch bezüglich der unterschiedlichen ‚Qualität‘ von Daten. Mir entspricht der Gedanke daher sehr, Forschungsdatenmanagement-Pläne neben den Daten ‚an sich’ offenzulegen (Katja Mayer) und auf diese Weise eine Art ‚Begleitmaterial‘ Forschungsdaten beizufügen. Oft wird darin mehr dokumentiert, als dies formal nötig ist bzw. – gut gemacht – legen sie auch offen, wie über Forschung (nach-)gedacht wurde. Unter Gesichtspunkten von Open Science sehe ich darin wirklich einen Wert, werden solche Informationen sonst nur in Operationalisierung oder Fallbeschreibung offen gelegt – mit einem spezifischen Fokus auf das anvisierte Forschungsprojekt ohne Nachnutzungsoption bzw. -strategie.

Gefreut habe ich mich natürlich auch darüber, dass Fragen nach dem Wie – u.a. „Wie bekommt man Open Science in die Breite?“ – immer wieder diskutiert wurden. Didaktisch betrachtet, besteht hier viel Gestaltungsraum. Dieser zeigt sich an konkreten didaktischen Szenarios, die zu entwerfen sind. Darüber hinaus wird am Beispiel Open Science gut deutlich, dass Vorstellungen zur Didaktik und Forderungen nach Offenheit manchmal nicht zueinander passen. Die Betrachtung solcher didaktischer Modelle, denen Offenheit inhärent ist, wäre daher bedeutsam. Ich empfehle an diesen Stellen immer die Lektüre eines älteren Texts von E. Terhart, der Theoriefamilien der Didaktik reflektiert (Download PDF bei Pedocs). Trotz Fokus auf Schule wird darin gut deutlich, dass es weder „die“ Didaktik noch „das“ Konzept gibt, welches für Fragen freien Wissens angewendet werden kann.

Zur Diskussion passt daher auch, dass die Praxis einer offenen Wissenschaft in Hannover genauso betrachtet wurde wie offene Materialien für Lehre und Lernen (OER). In Fragen rund um OER ließe sich sicherlich tiefer bohren, aber durch die einzelnen Projekte der Fellows und die Impulse der Mentor*innen sehe ich durchaus Möglichkeiten, das Thema bis zum Abschluss des Programms zu vertiefen. Im Barcamp habe ich mich daher zum Thema OER zurückgehalten, was nicht heißt, dass Impulse hier noch folgen könnten. So wurde mit ‚undergraduate research‘ bspw. ein Thema angesprochen, das mir sehr am Herzen liegt. Gestaltungsvorschläge könnten folgen, wenn die Begleitung der Fellows abgeschlossen ist: Bis zum Abschluss-Workshop am 8. und 9.6.2018 stehen sie vor der Anforderung, ihre unterschiedlichen Projekte im Kontext Open Science umzusetzen – als Mentor*innen werden wir hier vermutlich noch ‚gebraucht‘.

Wissensverlust, Medienbegriffe und interdisziplinäre Brückenschläge: Tagungseindrücke aus dem März

Im zurückliegenden März war ich auf mehreren Tagungen, die alle in engerem Zusammenhang mit der Hochschul- und Mediendidaktik standen. Besonders dicht war die Woche, als sowohl die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik (dghd) in Köln als auch die Frühjahrstagung der Sektion Medienpädagogik in Mainz stattfand. Es kam damit einem ziemlichen Kompromiss gleich, mittwochs und freitags auf die dghd-Tagung zu gehen und donnerstags die Sektionstagung zu besuchen. Für sich genommen waren beide Stippvisiten aber anregend:

So ging es auf der dghd-Tagung naturgemäß eher um hochschuldidaktische Fragen, die seit vielen Jahren auch mediendidaktische Fragen sind (und vice versa). Das merkt man immer dann, wenn bspw. über Implementierungsfragen diskutiert oder nach dem Beitrag der Medien zur Hochschulentwicklung gefragt wird. Hier werden dann gerne Publikationen der späten 1990er oder der frühen 2000er Jahre genutzt, um zu zeigen, wie alt manche Fragen sind (Gabi Reinmann problematisiert das auch in einem Interview). Wahrscheinlich könnte man noch weiter zurückgehen, denn die Fragen nach dem Beitrag „der Medien“ werden mit jedem neuen Medium wieder gestellt. In der Mediendidaktik sind diese – zumindest mit Schulbezug – auch recht gut dokumentiert.

Obschon viele Konzepte gut dokumentiert und zum Teil auch (empirisch) untersucht worden sind, stellt sich in Forschung und hochschulischer Praxis ein beträchtlicher Wissens- und Erfahrungsverlust ein. So kommt es nicht von ungefähr, dass manches hochschul- und mediendidaktische Konzept heute aussieht wie ein altes und vermeintlich neue (Forschungs-)Fragen mit Blick auf alte Errungenschaften an Neuigkeitswert verlieren. Ich halte daher den gewählten Tagungstitel nach dem Prinzip Hochschulentwicklung für äußerst passend und vor allem dann für gewinnbringend in der Diskussion, wenn man auch das Problem des Wissensverlusts (nicht nur der Werte) innerhalb der Hochschuldidaktik fokussiert.

In unserer eigenen Diskurswerkstatt haben wir das auch gemerkt: Viele Fragen rund um das studentische Publizieren kenne ich, seitdem ich Mitte 2000 mit w.e.b.Square erstmals ein studentisches Journal zusammen mit Kommiliton*innen an der Universität Augsburg gegründet habe. Manche Fragen ergeben sich durch den Versuch der Kontextualisierung: So sehe ich das studentische Publizieren im engen Zusammenhang mit dem forschenden Lernen. Zu klären ist „nur“, was in der Academia unter Publikation und dem Publizieren verstanden wird und wie konkrete Artefakte von Studierenden aussehen könnten. In der genannten Diskurswerkstatt haben wir uns einige Befunde, Projekte und studentische Perspektiven auf das Publizieren angeschaut, was anregend war und von Anna Heudorfer (Universität Hamburg) als Beitragende an anderer Stelle bereits zusammengefasst wurde.

Daneben treibt mich natürlich um, wie es gelingen kann, dass gerade in puncto Medien der Austausch zwischen den Disziplinen angeregt wird – und zwar über einzelne Personen hinaus. Denn im Kontext medienpädagogischer Forschung und Entwicklung wird längst (wenn nicht gar seit jeher) auf einen anderen Medienbegriff zurückgegriffen, als dieser sich in Hochschul- und Mediendidaktik verfestigt hat. U.a. ist die Engfassung von Medienbegriffen und damit zusammenhängender Konzepte ein Teil des oben skizzierten Problems. Auch gilt es Forschungsperspektiven auf Hochschule/Didaktik/Medien zu wandeln und neben den lernförderlichen Wirkungen des Medieneinsatzes auch nach den Ursachen bzw. Anlässen für Medieneinsatz zu fragen. Mehr noch: Von der Perspektive der Vereinheitlichung von einem Tool für alle (Lernenden) gilt es sich meiner Meinung nach zu verabschieden. Eher müssen solche Medien(entwicklungs-)konzepte an Hochschulen gefunden werden, die der Medienrealität und (!) dem formalen Bildungskontext entsprechen (wen es interessiert: Ich habe diesen Punkt vor einiger Zeit in einem Artikel umfassender ausgeführt.).

Dazu gehört dann auch, Medien- und Hochschulentwicklung vor dem Hintergrund aktueller Phänomene zu verstehen und schließlich gemeinsam zu betreiben. Ein derartiger Brückenschlag könnten die OERlabs (gefördert vom BMBF) sein, die Mandy Schiefner-Rohs (TU Kaiserslautern) und ich auf der Sektionstagung in Mainz vorgestellt haben: Mit den OERlabs suchen wir nämlich vor allem die Diskussion über ein medienbezogenes Phänomen durch die Verbindung von theoretischer, konzeptioneller und empirisch-praktischer Auseinandersetzung mit OER in der Lehrer*innenbildung. Auch wenn das Projekt ganz am Anfang steht, deutet sich der Perspektivwechsel und der Beitrag hochschul- und mediendidaktischer Forschung zur Hochschulentwicklung in unseren Heimathochschulen bereits an, denn: Unsere Labore sind – physisch betrachtet – leer. Sie bedürfen der (symbolischen) Aneignung durch die beteiligten Personen und Einrichtungen selbst, was zumindest in gegenwärtigen Förderkonzepten von Medien an der Hochschule selten realisiert wird.

Apropos Brückenschlag: Neben den beiden genannten Tagungen hatte ich im März auch noch die Freude, das Interdisziplinäre Kolleg (vormals KI-Kolleg) in Günne im Sauerland zu besuchen und dort einen Workshop zu „Digital Universities“ anzubieten. Interessant war der englischsprachige Workshop deswegen, weil die oben skizzierte Notwendigkeit des Blickwechsels natürlich auch im internationalen Zusammenhang diskutiert wurde, der Kern der Diskussion aber wieder Mal ein didaktischer war: Wie gelingt es, den Blick von den Medien auf das eigentliche (didaktische) Problem zu richten? Entsprechend war die zweite der vier Workshop-Sessions zur „Utility of Tools“ nicht nur am besten besucht. Sie hat auch klar gezeigt, welche Schwierigkeiten nach wie vor die Unterrichtsplanung in anderen als didaktischen Disziplinen bereitet und wie herausfordernd es ist, unterschiedliche Perspektiven auf (akademisches) Lehren und Lernen innerhalb der Planungsprozesse anzuerkennen und zuzulassen.

Vertreten wurde ich auf der Open Science-Konferenz in Berlin, wo wir als Vorstand der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft ein Poster zur Open-Diskussion beigesteuert haben. Jörg Hafer (Universität Potsdam) und Thomas Köhler (TU Dresden) haben u.a. herausgearbeitet, in welchen Zusammenhang die unterschiedlichen Open-Bewegungen zueinander stehen und wie sich derzeitige Projekte/Konzepte in das Gefüge einfügen. Beiträge wie diese finde ich aus zwei Gründen gut: Erstens halte ich es für wichtig, sich immer wieder konzeptionell mit Zusammenhängen zwischen Positionen/Disziplinen/Länderspezifika auseinanderzusetzen. Zweitens halte ich die Aktivität der wissenschaftlichen Fachgesellschaften angesichts der externen Erwartungen an Hochschulen (Stichwort: Digitalisierung) für wichtig, um öffentliche bzw. alltagsweltliche Diskussionen wissenschaftlich zu hinterfragen, zu rahmen oder zu erklären.