Gelesen: Geschäft versus Wissenschaft, Ausbildung versus Studium

Seitdem öffentlich über die „Reform von der Reform“ debattiert wird, scheint die Kritik an Bologna en vogue. Viele kritische Stimmen fokussieren die Verschulung eines universitären Systems, bemängeln den Verlust an Zeit und die Organisation von Bildung anhand von Prinzipien der Ökonomie. Selten werden jedoch die Folgen von Bologna auf einer Metaebene so diskutiert, sodass man über ein zustimmendes Nicken hinaus ins Grübeln gerät. Einer dieser Artikel, der das (zumindest bei mir) geschafft hat, ist mit „Geschäft versus Wissenschaft, Ausbildung versus Studium – Zur Instrumentalisierung von Hochschulbildung und Universität“ überschrieben und wurde von Paul Kellermann (Bildungssoziologe) verfasst. Die Ausgangsthese des Textes ist dabei, dass „[d]as primäre universitäre Paradigma des Strebens nach Wissen und Wissenschaft […] durch das den politischen Zeitgeist beherrschende Paradigma der Entwicklung von Märkten“ (Kellermann, 2009, S. 47) ersetzt wurde.

Es folgen eine Reihe an Gegenüberstellungen, was Bildung (insbesondere Universität) ausmacht, und wie das Ökonomische (insbesondere Betriebswirtschaftliche) dazu im Widerspruch steht. Besonders kritisch fasst der Autor dabei, dass solche Kontext-„überschwappenden“ Leitideen nicht nur Organisation von Bildung beeinflussen, sondern insbesondere auch den Zugang zu Erkenntnis und Methoden und letztlich auch Handlungen bzw. Machtkonstellationen  beeinflussen. „Auswahlen erfolgen aufgrund wertender Grundeinstellungen.“ (ebd., S. 48) Ähnlich kritisch betrachtet Kellermann die Begriffswelten, mit denen Bildung und Ökonomie gleichermaßen hantieren, jedoch unterschiedlich ausgeprägt umgehen, was oftmals Missverständnisse zur Folge haben kann. Er zeigt an den Beispielen Unternehmertum, Produktivität, Freiheit und Fortschritt, dass diese Begriffe „im Kontext ihrer Paradigmata verschiedene Bedeutungen“ (ebd., S. 51) haben.

Als Folge des Marktdenkens im Bereich Bildung skizziert Kellermann:

„Während die scientific community auf Kooperation beruht, wandeln sich die Beziehungen unter den Universitäten und ihren Angehörigen hin zur Konkurrenz um Studierende, Lehrende, Forschungsausstattungen, Rangplätze auf Listen von „Exzellenz“ und generell um Geldzuwendungen in jeder Form. Die politische Intention, die Chancen Hochqualifizierter in Europa zu fördern, wandelt sich zur „Strategie“, Universitäten und ihre Graduierten als Objekte von Märkten und als Instrumente in globalen Wettkämpfen um Gewinne zu nutzen; aus der Vorstellung eines Europe of Knowledge entstand eine kommerzielle, polit-ökonomische Konzeption.“ (ebd., S. 56–57, Hervorhebung im Original)

In dieser Konzeption von Bildung und Universität wird jedoch ein zentraler Aspekt vernachlässigt, nämlich dass sowohl Schulen als auch Hochschulen jeweils eigene gesellschaftliche Aufgaben erfüllen müssen (ebd., S. 57). Dies betrifft im Besonderen auch die Forschung selbst, die nicht (!) dazu da ist, Geld zu erbringen (ebd., S. 58).

Angesichts dieses widersprüchlichen Verhältnisses kommt Kellermann zu dem Schluss, dass demnächst neue Ordnungen entstehen werden, die beide Paradigmen stärker vereinen als bisher. Denn „Krisis bedeutet nämlich im ursprünglichen Sinn Entscheidung (Menge 1903: 333); günstigenfalls der entscheidende Wendepunkt zu befriedigenderen Arbeitsbedingungen zumindest an Universitäten“ (ebd., S.62).

Fazit. Ein spannender Artikel, der die Diskussion um Bologna fundiert und aus (bildungs-)soziologischer Perspektive Widersprüche im Bereich Bildung und Ökonomie aufzeigt, aktuelle Entwicklungstendenzen skizziert und davon ausgehend Fragen des Umgangs mit einem dialektischen Verhältnis aufwirft. Aufgrund der vielfältigen Zusammenhänge nicht ganz einfach nachzuvollziehen, aber dennoch lohnenswert, sich in diesen Paradigmenstreit zu vertiefen.

Quelle:

Kellermann, P. (2009). Geschäft versus Wissenschaft, Ausbildung versus Studium – Zur Instrumentalisierung von Hochschulbildung und Universität. In P. Kellermann, M. Boni & E. Meyer-Renschhausen (Hrsg.), Zur Kritik europäischer Hochschulpolitik. Forschung und Lehre unter dem Kuratel betriebswirtschaftlicher Denkmuster (S. 47–64). Wiesbaden: VS.

Gelesen: Leitlinien für die Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses

Seit dem 7. Juni 2010 gibt es für das Land Bayern Leitlinien für die Weiterentwicklung des Bologna-Prozesses. Solche Leitlinien, die von der Politik herausgegeben werden, sind in der Regel gestaltungsleitend und insofern wichtig, aber inhaltlich doch so vage, dass viele Aspekte für die Implementierung oder Weiterentwicklung von Studiengängen offen bleiben. Auf der einen Seite ist das gut, weil sich Gestaltungsspielräume für die einzelne Hochschule ergeben, auf der anderen Seite tun sich so von Beginn an Lücken auf, die man später mühevoll mit Qualitätssicherungsprozessen kitten will/muss. Interessant finde ich den diesjährigen Leitfaden trotzdem und zwar aus einem ganz anderen Grund: An ihrer Entwicklung waren dieses Mal eine Reihe an Personen beteiligt und unter ihnen auch Studierendenvertreter. Es gibt zwar einen regelmäßigen Austausch zwischen dem bayerischen Wissenschaftsministerium und der Landesastenkonferenz, soweit ich das aus meiner StuRa-Zeit weiß, aber dass ein Dokument mit dem Titel „Leitlinien“ daraus resultiert, ist doch selten und vermutlich eine Konsequenz der bundesweiten Bildungsstreiks seit 2009. Eine schöne Entwicklung, wie ich finde. Auch inhaltlich nimmt die Mitwirkung von Studierenden zur Verbesserung der Studienbedingungen in Zeiten von Bologna einen gewichtigen Stellenwert ein. Darüber hinaus sollen Studierende künftig auf allen Ebenen (Lehrveranstaltung, Studiengang, Hochschule als Ganzes) mehr „Stimme“ erhalten. Insofern kommt der Qualitätssicherung und -verbesserung anhand von Evaluationen ein hoher Stellenwert zu (Vorschläge zur Bewältigung der Ressourcenengpässe werden allerdings nicht unterbreitet ;-)).

Darüber hinaus wird nochmals formuliert, wie man Kompetenzorientierung innerhalb von Studiengängen erreichen und damit eine zentrale Forderung von Bologna 1999 umsetzen kann. Die Entwicklung von Problemlösefähigkeiten nimmt darin einen besonderen Stellenwert ein, was die Relevanz von Lösungen wie unserem Begleitstudium Problemlösekompetenz und dessen Verstetigung betont. Wichtig finde ich auch den Hinweis, dass die Kompetenzorientierung stets den Qualifikationsebenen des Studiengangs entsprechen soll. Hier wird allerdings nur zwischen Bachelor und Master unterschieden, nicht zwischen den Studienphasen, in denen sich die Studierenden innerhalb eines Studiengangs befinden. Was allerdings Erwähnung findet, sind die Prüfungsformen: nicht die „bloße“ Zahl, aber immerhin die Eignung der Prüfungsformen im Hinblick auf das zu erreichende Lern- und Kompetenzziel.

Mir persönlich sind noch die Anwesenheitspflichten ins Auge gefallen, da wir öfters darüber diskutieren, wie viel Präsenz man von Studierenden verlangen kann und ob man ihre Anwesenheit vor Ort überprüft. Immerhin seien es erwachsene Menschen, die selbst über Präsenz oder Abwesenheit entscheiden könnten. Ich bin daher mit der Formulierung in den Leitlinien ganz glücklich, wo es heißt: „Anwesenheitspflichten prüfen und auf notwendige Fälle reduzieren“ (S. 7). Das gibt uns ein Stück weit recht, an wichtigen Veranstaltungstagen Anwesenheit vorauszusetzen und dies auch zu kontrollieren; gleichzeitig gibt es Spielräume für das Fehlen, was ja nicht zwingend Schwänzen bedeuten muss. Oftmals überschneiden sich Termine an der Hochschule selbst, da diese kaum untereinander koordiniert werden.

Alles in allem lohnt sich also ein Blick in das Papier – es ist nicht allzu lang und zeigt, wie sich die Bologna-Reform inzwischen selbst reformiert.

Der Bachelor bankrott?

Dass die Bologna-Reform tiefgreifende Änderungen an der Hochschule mit sich bringt, ist nicht neu. Von Beginn an gibt es viele Kritiker an der Reform, allem voran unter Wissenschaftlern und Lehrenden. In der Süddeutschen Zeitung erklärt nun Julian Nida-Rümelin den Bachelor sogar als bankrott, zumindest dann, wenn man ihn an den eigenen Zielen messen würde. Ein spannendes Interview für all diejenigen, die sich intensiv mit der Bologna-Reform beschäftigen und dem Humboldt’schen Bildungsideal etwas abgewinnen können.