in Wissenschaft

Reform der Reform

Gerade komme ich vom Forum der Lehre der TU München, das in diesem Jahr mit dem Titel „Reform der Reform“ überschrieben war. Zum Thema eingeladen war Dr. Peter Wex, der 30 Jahre lang als Jurist im Hochschulkontext tätig war, wie er mir im persönlichen Gespräch sagte, bevor er sich nochmals neu orientiert und die Arbeitsstelle für Bildungsrecht und Hochschulentwicklung an der FU Berlin gegründet hat. Seitdem beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit der Bologna-Reform und blickt ein Stück weit hinter die zahlreichen Dokumente und politisch-systemischen Zusammenhänge, die sich seit der „wohl größten Bildungsreform seit Humboldt“ ergeben haben.

In seinem Vortrag in den sehr schönen Räumlichkeiten der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung hat er vor allem die Reformierungen seit den Bildungsstreiks 2009 beleuchtet, die bottom-up die „Reform der Reform“ eingeleitet haben dürften. In seinem mit vielen amüsanten Untertönen gespickten Vortrag hat Wex dann drei Aspekte der Bologna-Reform besonders herausgehoben: (1) die Prüfungsleistungen, (2) die Regelstudienzeit und (3) die Studierbarkeit. Sie alle stünden bei Bologna im Kern und seien auch Dreh- und Angelpunkt der Neuorientierung der Hochschulreform, die durch die Vorgaben von HRK/KMK angeregt wurden.

Der Vortrag über die drei Punkte war dabei für mich nicht neu, sodass ich den Kern jedes Punkts an dieser Stelle nicht wiederholen will. Überraschend war vielmehr, dass Steilvorlagen für alternative Assessment-Verfahren und für E-Learning vom Publikum nicht einmal im Ansatz aufgegriffen wurden. Vielmehr stand die „Workload-Illusion“ im Zentrum der anschließenden Diskussion, also wie sich der Workload über das Semester bzw. ein Studienjahr verteilt und dass man bestimmte Leistungen von Studierenden durchaus einfordern kann. Aus meiner Sicht wurde Wex hier falsch verstanden, denn seine Rechnung, wonach Studierende im Studienjahr 1.800 Stunden für ihr Studium aufbringen müssten (60 Leistungspunkte à 30 Stunden), ist formal richtig und spricht etwas an, was ich auch beobachte: In vielen Bachelor- und Masterstudiengängen werden die meisten Prüfungsleistungen innerhalb der Vorlesungszeit erbracht. Allein die eine oder andere Hausarbeit kann erst später abgegeben werden. Dies führt dazu, dass Workloads zu großen Teilen in weitaus weniger Zeit erfüllt werden müssen, als dies formale Rechnungen über ein Jahr verteilt vorsehen. Konsequenz ist: Die Studierenden sind gestresst angesichts des Pensums, das sie zu leisten haben.

Über alternative Assessment-Formen, die diese Überforderung abmildern könnten und etwa den Lernprozess in die Bewertung einbeziehen, wird dagegen nur selten diskutiert; auch E-Learning als Möglichkeit, Selbststudium und Gruppenlernen zu unterstützen, wird im Prinzip nicht mitgedacht – was daran liegen mag, dass man auf diese Weise auch Präsenzlehre grundsätzlich „anders als sonst“ aufziehen müsste. Dies ist aus meiner Sicht der nach wie vor präsenten instruktionsorientieren Einstellung der meisten Lehrenden zu schulden. Insofern bin ich etwas ernüchtert aus dem Vortrag gegangen, der mit dem Aufstand des (Studierenden-) Volks und seiner Wirksamkeit an sich so gut begonnen hatte.

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Kommentar

  1. Hallo Sandra!

    >Über alternative Assessment-Formen, die diese Überforderung abmildern
    >könnten und etwa den Lernprozess in die Bewertung einbeziehen, wird
    >dagegen nur selten diskutiert; …

    Ja, da muss ich dir sehr recht geben. Wir hatten hier an der Uni Hannover einen Bologna Thementag in dem wir mit Studierenden und Lehrenden versucht haben, Meilensteine für Veränderungen zu identifizieren (Losgelöst von Landesvorgaben wollten wir erste Schritte auch vor Ort tätigen).

    Auch bei uns wurde ebenfalls nicht über die Gestaltung des Lernprozesses gesprochen sondern die Diskussion bliebe allerseits oberflächlich, kritisierend und keineswegs konstruktiv. Zwar gab es Arbeitsgruppen und entsprechende Gruppenergebnisse, die allen Beteiligten zur Verfügung gestellt wurden, ob diese eher organisatorischen Vorschläge umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.

    Ich denke, es gibt viele Ursachen dafür, dass Bologna so viel Kritik erntet. Einen, aus meiner Sicht zentralen Punkt, möchte ich hier hervorheben:

    Akkreditierungsrichtlinien lesen, verstehen und hinterher auch noch konstruktiv umsetzen ist für Nicht-Pädagogen keineswegs einfach: Lernziele taxomieren (mehr als nur die Kategorien „kennen“ und „anwenden“), passende Lehr-/Lernmethoden auswählen (Was für Methoden außer Vorlesung, Seminar, Labor und Übung gibt es denn?) und auch noch einen Workload ermitteln („Unsinn, wer XY studiert muss halt viel lernen“). Hochschullehrende wurden einfach damit konfrontiert und oft überfordert.

    Mir fällt dazu eine gute Metapher ein: Stell dir vor ein Studiengang ist ein Auto. Als Kinder (Studenten) sind wir in dem Auto mitgefahren, als Erwachsener (Dozent) führen wir das Auto. Das Auto ist eine Vorlesung, ein Seminar oder eine andere Lehrveranstaltungsform. Es war einfach schon da, wir haben uns irgendwann ans Steuer gesetzt, gelernt es zu bedienen (und ein bißchen haben wir als Kind ja auch schon mitbekommen) und sind losgefahren. Und jetzt kommt Bologna und das ist nichts anderes als eine Bauanleitung für ein neues Auto. Kannst du ein Auto bauen?

    Meine Meinung: Hochschullehrende hätten unbedingt kompetente und vor allen personelle Hilfestellung bei der Gestaltung der Studiengänge erhalten müssen! Ich habe einige Hochschullehrende kennengelernt – und zwar die Motivierten, die Bologna als Chance gesehen haben -, die genau diesen Punkt immer wieder hervorgebracht haben. Bleibt zu hoffen, dass Bologna 2 hier nachreguliert 🙂

  2. Hallo Marc,

    absolut einverstanden! Viele Hochschullehrende sind überfordert mit dem Bologna-Prozess und trauen sich (aus unterschiedlichen Gründen) gar nicht mehr, abseits des Mainstreams (= Vorlesungen) zu agieren und andere Veranstaltungsformate bzw. alternative Prüfungsformen einzusetzen. In Deinem Bild wäre das dann so, als ob alle nur noch Golf fahren und nicht mehr nach anderen Marken, die im Automobilbereich auch etwas taugen, gucken würden. Letzteres wäre ähnlich schade wie „Einheitsbrei“ im Kontext von Lehrveranstaltungen: An sich wird Lehre (und Lernen) doch erst interessant, wenn man (aus Perspektive von Lehrenden und Lernenden!) unterschiedliche Formate kennenlernen darf und sie schließlich danach auswählt, ob sie einem Lern- (und Kompetenz-) Ziel entsprechen. Und dann wären wir wieder bei der Ausgangssituation: beim Vertrauen in alternative Lehr-Lernkonzepte und dem (fehlenden?) Erleben von Selbstwirksamkeit. Denn ich glaube gar nicht mal, dass es an Kenntnis über andere Lehrveranstaltungstypen scheitert, sondern vielmehr an dem Mut, diese einmal auszuprobieren, was auch an ihrer allgemeinen (öffentlichen) Anerkennung liegen mag.

    Viele Grüße,

    Sandra