Drei Beiträge – eine Diskussion über die Organisationswerdung von Universität und Hochschule zwischen Digitalisierung und Digitalität

In den letzten Tagen sind zwei Bücher erschienen, die mehr als einen Blick Wert sind: Zum einen ist die Neuauflage des Handbuchs Medienpädagogik von Uwe Sander, Friederike von Gross und Kai-Uwe Hugger online verfügbar, in dessen Rahmen ich zwei Beiträge beisteuern durfte. Zum anderen ist der Herausgeberband „Wie Corona die Hochschullehre verändert“ von Ulrich Dittler und Christian Kreidl eingetroffen, in dem Kai-Uwe Hugger und ich auf ein Seminarkonzept im von der Pandemie geprägten Sommersemester 2020 zurückblicken.  

a) Beiträge zu „Hochschule“ und „OER“ im Handbuch Medienpädagogik (Sander, von Gross & Hugger, 2021)

Im Klappentext zum Handbuch Medienpädagogik heißt es wie folgt: „Das Handbuch Medienpädagogik liefert einen fundierten und systematisch aufgebauten Überblick über Theorien, Forschung, Geschichte, gegenwärtige Diskussionspunkte und Handlungsfelder der erziehungswissenschaftlichen Teildisziplin Medienpädagogik. Mit der neuen Ausgabe ist ein vollständig aktualisiertes  und erweitertes medienpädagogisches Grundlagenwerk entstanden, das umfassend medientechnologische Entwicklungen und zukünftige Trends berücksichtigt.“ (aus dem Klappentext)

In der Tat finden sich gegenüber der Fassung von 2008 einige neue Artikel, Diskussionen und auch theoretische Rahmungen, die ins Handbuch aufgenommen wurden. Diese bilden meines Erachtens ab, wie sich die Medienpädagogik als Disziplin weiterentwickelt. Zugleich werden auch die unterschiedlichen Strömungen erkennbar, die Medienpädagogik im Diskurs immer wieder neu verhandelt. Dazu zählen neben der Erziehungswissenschaft sicherlich prominent die Kommunikationswissenschaft, aber auch die Soziologie, Medien- und Sozialpsychologie sowie weitere Bezugswissenschaften. 

In dieser interdisziplinären Gemengelage widmet sich auch mein Beitrag im Handbuch Medienpädagogik der Institution Hochschule. Soweit ich weiß (und recherchieren konnte), wird damit Hochschule erstmals in einem deutschsprachigen, medienpädagogischen Handbuch diskutiert und in Verbindung mit dem Verständnis von Institution gebracht. Gerade weil ich mich beim Schreiben des Beitrags gefragt habe, welcher Institutionenbegriff nicht zuletzt der Beitragseinladung zugrunde lag, führe ich zunächst eine spezifische Sicht auf Hochschulen als Organisation ein, ehe ich zu einer Systematisierung für die Medienpädagogik komme. 

Für die folgende Systematisierung habe ich mich am vierfachen Organisationsverständnis von Renate Mayntz orientiert, die – interessanterweise neben Krankenhäusern und Verwaltungseinrichtungen – Hochschule in ihren Ausführungen betrachtet hat. Zugleich werden bereits bei Mayntz Hochschulen als soziale Organisationen aufgefasst, was im Zusammenhang mit Medienpädagogik von besonderer Bedeutung ist. So grenzt sich dieses Verständnis von der bloßen betrieblichen Organisation u. a. von Medienpädagogik ab, bietet also die Chance, auch Medienpädagogik im Kontext ihrer Gemeinschaft(en) zu betrachten und die Sichtweise erlaubt Anschlüsse dahingehend, welche Rolle Menschen in Organisationen haben/einnehmen. Dazu müsste aber ein relationales (und eben kein instrumentelles) Organisationskonzept zugrunde gelegt werden, wie ich im Beitrag vorschlage. 

Obschon der Beitrag weit vor der Pandemie entstanden ist, ergeben sich doch mehrere Anschlüsse an die Diskussionen in der zurückliegenden Zeit: 

So stellt sich umso mehr die Frage nach der Relevanz, aber auch nach der Legitimation medienpädagogischen Handelns. In der Pandemie wurde vielfach sichtbar, dass Hochschulen über weite Strecken lediglich unter der Metapher des Betriebs bzw. der Organisation von Betrieb verstanden wurden – ich erinnere nur an Begrifflichkeiten wie Emergency Remote Teaching oder schlicht den Notbetrieb. Hier das eigene Verständnis von Hochschule zu prüfen, wäre allein schon deswegen von Bedeutung, weil es dann nicht um die Aufrechterhaltung von Betrieb, sondern vielmehr um die Frage ‚Was ist Universität?’ oder auch ‚Was ist Hochschule’ ginge. Auch daher gerät die Organisationswerdung von Universität und Hochschule in ihrer Historizität in den Blick.

Zur Pandemie passt letztlich auch der Beitrag zu Open Educuational Ressources (OER), den ich ebenfalls für das Handbuch Medienpädagogik verfassen durfte. Auch OER werden erstmals im Handbuch besprochen – als Diskussionsfeld der Medienpädagogik. Zum Zeitpunkt der Artikelproduktion stand also noch zur Debatte, inwieweit OER als Teil professionellen medienpädagogischen Handelns konzipiert werden können und sollen. Auch deswegen erläutere ich im Beitrag einmal mehr, was OER sind und welchen Beitrag Medienpädagogik mit ihren Akteur*innen in dieser Diskussion leisten könnte. Die zurückliegenden OERlabs dienen schließlich als Beispiel. 

In der Pandemie mag es nun ein fast zynisch klingen, wenn ich im Beitrag zeige, dass OER oft an (organisationalen) Optimierungsprozessen anknüpfen und dass Ungleichheiten durch OER eher verstärkt als abgemildert werden. Dass dieses ambivalente Bild von OER nämlich ziemlich genau zu dem passt, was derzeit in fast allen Bildungskontexten diskutiert wird, mag auch daran liegen, dass die Pandemie soziale (Problem-)Lagen nicht nur spiegelt, sondern in ihren Ausprägungen noch verdichtet. Diesen Aspekt werden mein Team und ich sicherlich auch in unserem Papier betonen, das dem BMBF im Zusammenhang mit der partizipativen Erstellung der OER-Strategie des Bundes am Ende dieser Woche zugehen wird. 

b. Blicke in den Band „Wie Corona die Hochschullehre verändert“ (Dittler & Kreidl, 2021)

Es bleibt der Blick in den Herausgeberband von Dittler und Kreidl, die inmitten des ersten Lockdowns mit einer Beitragsanfrage für ihr Buch „Wie Corona die Hochschullehre verändert“ auf mich zukamen und rasch erkannten, dass diese spezielle Zeit dokumentiert werden müss(t)e. 

Dabei stand für mich ‚damals’ weniger die Digitalisierung von Lehr-Lernangeboten im Vordergrund – meine Veranstaltungen waren ohnehin längst in Form von Blended Learning organisiert und mussten „nur“ noch in ein 100%-Online-Format überführt wurden. Auch diverse OER lagen zum Einsatz in Vorlesungen wie auch in den Seminaren vor. Doch eine Diskussion hat nicht nur mich, sondern den gesamten Arbeitsbereich Medienpädagogik in dieser Zeit beschäftigt: 

– Wie können Studierende eigentlich ihre mannigfaltigen Erfahrungen im Zuge ihres ersten Semesters in dieser bis dato nicht gekannten Form zum Teil ihres Studiums machen? 

– Welche Aufgabe und Verantwortung haben wir als Hochschullehrende, gesellschaftliche Entwicklung und Kernanliegen auch zum Gegenstand von Lehre zu machen? 

Mit diesem Blick haben Kai-Uwe Hugger und ich das Seminar „#Covid-19: Beobachtungen, Beschreibungen, Analysen und Reflexionen aus studentischer Sicht“ aus der Taufe gehoben. Mit dem Seminar geben wir zudem Einblick darin, wie Lehre aus lebensweltlicher Perspektive an aktuellen Gegebenheiten anknüpfen kann und warum sich hier eine besondere Passung von medienpädagogischen Anliegen und Universität ergibt. 

Zweifelsohne interessant ist auch nachzulesen, wie unterschiedlich das Sommersemester 2020 von den am Band beteiligten Kolleg*innen erlebt wurde und welche Aspekte sie in ihren jeweiligen Artikeln oder Interviews in den Fokus rücken. So wird meines Erachtens auch deutlich, dass organisationales Handeln mit der bereits genannten Aufrechterhaltung von Betrieb auf den üblichen Handlungsebenen von Hochschule adressiert wurde, die Pandemie aber gleichwohl Anforderungen an Hochschulen als Organisation stellte, die vermutlich erst weit nach der Pandemie umfassend sichtbar werden und abseits einer Semesterlogik oder einem Notbetrieb nur gemeinsam und querliegend zu den (betrieblichen) Handlungsebenen zu bewältigen sind. 

Literatur

Hofhues, S. (2021). Diskussionsfelder der Medienpädagogik: Open Educational Ressources (OER). In U. Sander, F. von Gross & K.-U. Hugger (Hrsg.), Handbuch Medienpädagogik. 2. vollständig aktualisierte, überarbeitete und erweiterte Auflage (S. 1-9, online first). Wiesbaden: Springer. (Artikel)

Hofhues, S. (2021). Institutionen der Medienpädagogik: Hochschule. In U. Sander, F. von Gross & K.-U. Hugger (Hrsg.), Handbuch Medienpädagogik.2. vollständig aktualisierte, überarbeitete und erweiterte Auflage (S. 1-9, online first). Wiesbaden: Springer. (Artikel)

Hofhues, S. & Hugger, K.-U. (2021). #Covid-19: Beobachtungen, Beschreibungen, Analysen und Reflexionen aus studentischer Sicht. In U. Dittler & C. Kreidl (Hrsg.), Wie Corona die Hochschullehre verändert (S. 281-292). Wiesbaden: Springer. (Artikel)

Das Warten hat sich gelohnt

Wer selbst einmal ein Buch herausgegeben hat, weiß sehr genau, wie lange sich die Herausgabe manchmal ziehen kann. Ich freue mich daher sehr, dass in diesen Tagen (endlich) das Buch „Medien, Bildung und Wissen in der Hochschule“ von Andreas Weich, Julius Othmer und Katharina Zickwolf erschienen ist. Es ist im Nachgang der Verflechtungen-Tagung 2015 (ehem. CfP) an der TU Braunschweig entstanden. Der Tagungsbezug und das Wissen um diverse Verflechtungen von Medien an der Hochschule führt sicherlich auch zu diesem leicht ungewöhnlichen inhaltlichen Zuschnitt des Buchs. Weil Fragen von Medien aber längst querliegend an Hochschulen bearbeitet werden, liegt darin m.E. auch der größte Wert des Bandes. So findet sich im Buch eine (m.E.) ungewöhnliche Kombination von Beiträgen, die größtenteils fach- und diskursübergreifend gestaltet sind.

Zusammen mit Mandy Schiefner-Rohs habe ich für diesen Band einen Essay zu „prägenden Kräften“ beigesteuert. Wir haben die Form des Essays bewusst gewählt, um – wie es die Hrsg. formulieren – explorative Überlegungen mit hochschulischem und gesellschaftlichem Bezug darzustellen. Konkret beschäftigen wir uns im Text damit, wie derzeit über Medien an Hochschulen nachgedacht wird und welche expliziten und impliziten Vorstellungen bzw. Diskurslinien darin sichtbar werden. So fragen wir uns angesichts der vielfältigen öffentlichen Debatten um Digitalisierung, ob das Internet eigentlich gerade erst erfunden wurde. Auch geben wir den Tipp, einmal Kolleg*innen zu fragen, was sie unter E-Learning verstehen. Wir vermuten, darunter wird oft gleichlautend das hiesige LMS verstanden. Und ja, wir beschäftigen uns auch mit dem Zusammenhang der Studienstrukturreformen von Bologna und der gegenwärtigen Lesart von Digitalisierung an Hochschulen, insbesondere der Hochschullehre. Insofern geht es im Essay auch um neues-altes Lernen und eine dringend nötige differenzierte Auseinandersetzung mit Medien/Technologien diesseits und jenseits schicker Begrifflichkeiten.

Auf Anregungen, Kommentare und gemeinsames Weiterdenken der manchmal sehr ernst gemeinten Ausführungen freuen wir uns sehr.

Wenn Studierende zu Lehrenden werden…

Wie vermittelt man eigentlich Lernformen und solche Inhalte, die eng mit Lernkonzepten und Medieneinsatz für Lehren und Lernen zusammenhängen? Diese Frage habe ich mir zu Beginn des Sommersemesters häufig gestellt, da ich eine Lehrveranstaltung mit dem Titel „Lernformen mediengestützten Lernens“ planen musste (zum gesamten Lehrangebot) und letztlich eine angemessene didaktische Umsetzung anbieten wollte. Während die Wahl der Inhalte zwar auch schwierig, aber irgendwann klar war, gestaltete sich die Findung eines didaktischen Szenarios durchaus komplex. Welche zusätzlichen Aufgaben kommen bspw. auf Studierende zu, wenn sie sich problemorientiert mit den ausgewählten Lernformen auseinandersetzen? Sind sie im ersten Semester eines nicht-konsekutiven Masterstudiengangs überhaupt in der Lage, sich über Inhalt (Lernformen) und Form (Vermittlungsformate) gewissermaßen zeitgleich Gedanken zu machen?

Da sich die Fragen nicht abschließend beantworten ließen, entschied ich mich für ein Mischkonzept, das dem Cognitive Apprenticeship nahesteht: Nach einer kurzen Einführungsphase, die eher stark strukturiert und geleitet war, übernahmen die Studierenden selbst die Vermittlerrolle und konzipierten zweiwöchige Blended-Learning-Szenarien zu thematisch abgegrenzten Einheiten (siehe Abbildung).


Dieses Schlüpfen in die Lehrendenrolle war und ist mir wichtig, da Studierende Konzepte oder didaktische Szenarien mitunter erst durchdringen, wenn sie diese mit eigener konzeptioneller Tätigkeit oder persönlichen Lernerfahrungen verbinden können. „Lernen durch Lehren“ im mittleren Teil des Seminars einzusetzen, lag daher durchaus nahe. Am Schluss des Seminars standen vor allem die Erfahrungen mit der eigenen Lehrtätigkeit im Vordergrund, da die Erarbeitung von Inhalten weniger herausfordernd angesehen wurde als deren angemessene Darbietung für die Kommilitonen. Mit dieser Selbstwahrnehmung der Studierenden war in Teilen zu rechnen, wenn auch die Intensität der jeweiligen Lehr-Eindrücke für mich überraschend war: Selbst diejenigen Studierenden, die einen pädagogischen Hintergrund aufweisen oder bereits lehrend tätig waren, hatten Respekt vor der veränderten Aufgabenstellung, insbesondere in Abgrenzung zum Referat. Umso größer war die Freude der Studierenden, wenn ihre Arrangements „geklappt“ haben, wenn sie also ihre Mit-Studierenden zum Mit-Machen motivieren konnten, wenn die Abläufe reibungslos klappten und wenn die Abschlussevaluationen positive Rückmeldungen hervorbrachten.

In der Rückschau besonders interessant sind die Seminararbeiten, die mit einigem Abstand zur Lehrveranstaltung in der Gruppe geschrieben wurden: Sie arbeiten den theoretischen Stand zu den Lernformen auf, skizzieren das eigene Vermittlungskonzept sowie Herausforderungen in der Umsetzung aus unterschiedlichen Perspektiven. Dass diese gemeinsame, schriftliche und eben auch fundierte Rückschau wichtig ist, zeigt sich u.a. in einem Studierendenzitat, das sinngemäß darauf verweist, dass theoretische Inhalte der eigenen Lehrtätigkeit mit dem zeitlichen Abstand viel tiefer verarbeitet wurden, nicht zuletzt durch die neuerliche Bearbeitung der einbezogenen Literatur. Ein solches Feedback ist klasse, zeigt es doch, dass ein wesentliches Lernziel, nämlich das Erarbeiten und Begreifen exemplarischer Lernformen aus Studierendensicht, erreicht wurde. Kritisch zu sehen sind allerdings die Lernerfolge bezogen auf die Lernformen, die „nur“ als Teilnehmende erlebt wurden: Hier fallen Verstehens- und Behaltensleistungen deutlich geringer aus – ein Aspekt, der für solche Konzeptionen sicherlich typisch ist, aber zum Nachdenken und zur Re-Konzeption anregt.